zeitlicher Verzögerung ein; der Konflikt führte jedoch schon 1904 zur Gründung der
,,Saar-Post“ als konkurrierender katholischer Tageszeitung77.
Wie in den Zeiten des Kulturkampfes trat der soziale Widerspruch wieder als konfes¬
sioneller Gegensatz auf und ließ sich somit durch die Zentrumspartei unmittelbar poli¬
tisch instrumentalisieren. 1895 lobte Bischof Korum zwar noch Hilger als „edlen
Werksdirektor . . ., welcher die Gefühle seiner katholischen Arbeiter achtet und ehrt
und bestrebt ist, ihren religiösen Bedürfnissen gerecht zu werden“78, doch bald schon
war dieser Waffenstillstand unter dem Banner der sozialen Befriedung vorbei. Der Ge¬
gensatz zwischen Kartell und Zentrum dominierte, die Frontstellungen des Kultur¬
kampfes kehrten zurück. 1903 gewann der Zentrumskandidat Fuchs erstmals das
Reichstagsmandat im Wahlkreis Ottweiler-St. Wendel-Meisenheim79. Die Mitglied¬
schaft in den Fachabteilungen ließ sich zwar nicht verbieten, dennoch sparte die Berg¬
werksdirektion nicht mit Schikanen. „In den Schlafhäusern dürfen Dasbachsche Zei¬
tungen nicht gehalten werden, weil dieselben seit Jahren beleidigende Artikel gegen die
Bergverwaltung bringen“80, erklärte Hilger 1904.
Angesichts dieser Polarisierung besaß die Sozialdemokratie keine Chance. „Das weite
Gebiet wird teils vom Zentrum, teils von dem nun verstorbenen König Stumm fast un¬
umschränkt beherrscht“, hieß es im Bericht des Agitationskomitees der oberen Rhein¬
provinz für das Jahr 1900; „beide gleich unduldsam gegen andere, gleich skrupellos in
der Wahl ihrer Mittel, gleich brutal in deren Anwendung zur Unterdrückung ihnen
nicht genehmer Ansichten. König Stumm offen in brutalster Rücksichtslosigkeit seine
wirtschaftliche Macht und seinen weitgehenden Einfluß ausnützend, das Zentrum
schleichend, im Dunkeln arbeitend und möglichst das Dekorum wahrend, stets den re¬
ligiösen Fanatismus der katholischen Bevölkerung schürend und für seine politischen
Zwecke ausnützend“81.
Unter Emmels Nachfolger Peter Lamberts82 mußte die Sozialdemokratie fast wieder
am Nullpunkt anfangen. Wie unter dem Sozialistengesetz beschränkte sich die ge¬
schrumpfte Parteigruppe auf Flugblattaktionen bei Nacht und Nebel83 84; vielfach wur¬
den die Druckschriften jedoch „auf Einwirkung der Geistlichkeit hin vernichtet“^.
Um das Kundgebungsverbot zu umgehen, marschierte man am 1. Mai in losen Trupps
zu Ausflugslokalen in der Nähe der Saarstädte; höchstens 200 Mitglieder und Sympa¬
thisanten beteiligten sich daran85. Aus Protest gegen die mangelnde Unterstützung
durch das Agitationskomitee trennte man sich 1896 sogar von der rheinischen Parteior¬
ganisation86.
Die Reichstagswahl im Juni 1898 markierte den Tiefpunkt in der Parteigeschichte der
90er Jahre: Obwohl sich am 15. Mai 1898 ein ,,Sozialdemokratischer Wahlverein für
77 Thoma, S. 132 — 138. Fohrmann, S. 308 — 313.
78 Abgedruckt in: Die Dasbachpresse im Saargebiet, S. 16.
79 Vgl. Beilot, S. 213.
80 Saarabien vor Gericht, S. 20.
81 Bers, S. 31. Ähnlich im Bericht für die beiden folgenden Jahre, ebd., S. 36 f.
82 Vgl. LR Bake/SB an RP vom 26. 10. 1895, LH AK 442/4371, 668-671. RP Heppe/Trier an
LR/SB vom 26. 3. 1897, LHAK 442/6222, 128 f.
83 RA Roques/SB an RP vom 27. 8. 1896, LHAK 442/4307, 283 f. LR Bake/SB an RP vom 3.
9. 1896, ebd., 301 f. Dto. vom 7. 9. 1896, ebd., 303 f.
84 RP Heppe/Trier an IM vom 1. 4. 1897, LHAK 442/6222, 119-121, Zitat S. 121.
85 Dto. vom 2. 10. 1896, ebd., 57 — 59. LR Bake/SB an RP vom 5. 5. 1897, ebd., 139-142. Dto.
vom 3. 5. 1898, ebd., 289-291.
86 (Gewehr), S. 20. Protokoll des Solinger Provinzparteitags am 19./20. Januar 1896 im
LHAK 442/6222, 15-24.
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