Der Bankrott der Kassenführung lag auf der Hand, obwohl erst ein Teil der gesamten
Bücher überprüft worden war. Und gerade dies gab Spekulationen über noch höhere
Unterschlagungen neuen Raum. Der Prozeß gegen Wunn bedeutete für den Vorstand
ein Fiasko. Denn viele Bergleute hielten Warken und seine Kollegen von nun an für
korrupt. Politisch-weltanschauliche Bedenken konnten sich jetzt mit finanziellen Be¬
fürchtungen mischen. Selbst die Sozialdemokraten an der Saar — ansonsten um Annä¬
herung an die Bergarbeiterbewegung bemüht — schrieben in der Probenummer ihres
„Boten von der Saar“: „Wir sind die Letzten, die Warken und seine Wirthschaft ver-
theidigen wollen“9.
Als Warken und Thome im Frühjahr 1891 eine größere Summe von der Bank abhoben,
hatte Landrat zur Nedden berichtet: „Meine Hoffnung, daß die beiden Führer mit ge¬
nanntem Betrage das Weite suchen würden, scheint sich leider nicht zu verwirkli¬
chen‘10. Nach dem Wunn-Prozeß aber verwandelte er sich in den Anwalt der bedroh¬
ten Arbeitergroschen: Die Saarbrücker Staatsanwaltschaft ließ am 22. Oktober 1891
sämtliche Kontenbücher des RSV beschlagnahmen und leitete gegen den Vorstand eine
Untersuchung wegen Unterschlagung ein11. Regierungspräsident von Heppe hoffte
zwar, durch einen entsprechenden Schuldspruch Warkens Wiederwahl verhindern zu
können12, doch die Untersuchung zog sich in die Länge. Erst im November 1892 hielt
Staatsanwalt Hepner die Veruntreuung von 6000 M. für erwiesen, die persönliche Ver¬
antwortung dafür sei jedoch nach wie vor unklar13. Am 15. April 1893 sprach die Straf¬
kammer des Saarbrücker Landgerichts ihr Urteil, nachdem eine Überprüfung aller Bü¬
cher eine Unterschlagung von 7037,46 M. ergeben hatte: Warken und Bachmann wur¬
den freigesprochen, Berwanger zu 6 und Krön zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt14.
Zur Diskreditierung des Vorstandes trug dieser Schuldspruch allerdings nur noch un¬
wesentlich bei; infolge der Streikniederlage hatte der offene Verfall des RSV längst ein¬
gesetzt.
10.4 Das neue Statut des Rechtsschutzvereins
Vor allem an Brauns öffentlichem Auftreten und seinen Veröffentlichungen in „Schlä¬
gel und Eisen“ entzündete sich im Sommer 1891 eine breite Debatte über die weitere
Ausrichtung des RSV. Die Organisation hatte in den zwei Jahren seit ihrer Gründung
den eng umrissenen statuarischen Rahmen in ihrer praktischen Tätigkeit gesprengt1.
9 Bote von der Saar vom 27. 12. 1891 (Probenummer).
10 LR zur Nedden/SB an RP vom 11.4. 1891, LHAK 442/4221.
11 Aktennotiz LR Bake/SB vom 25. 10. 1891, Kr ASB S/10. LR Bake/SB an RP vom 27. 11. 1891,
Konzept KrASB S/7, Ausfertigung LHAK 442/4274.
12 RP Heppe/Trier an SA/SB vom 3. 11. 1892, Abschrift KrASB S/7.
13 SA Hepner/SB an RP vom 5.11. 1892, LHAK 442/4250. RP Heppe/Trier an OP vom 12. 11.
1892, LHAK 403/6837, 61 -63- Vgl. SBZ vom 5. 11. 1892 (Nr. 258).
14 Urteil der Strafkammer des LG SB vom 15. 4. 1893 gegen Warken, Krön, Berwanger und
Bachmann, LHAK 442/4402, 477 —514 und 403/7028, 391 -425, Abschriftlicher Auszug
auch KrASB S/10. Ausführlicher Prozeßbericht im Bgmfr. vom 18. 4. 1893 (Nr. 31). Ein beim
Reichsgericht in Leipzig gestellter Revisionsantrag wurde abgelehnt, vgl. Bgmfr. vom 29. 9.
1893 (Nr. 78).
1 Von den beim OBA Bonn von Mai 1889 bis 1. Januar 1893 in Unfallangelegenheiten eingeleg¬
ten 358 Berufungen aus dem Saarrevier waren lediglich 61 vom RSV verfochten worden. Die
Rechtsschutzfähigkeit hielt sich also im Gegensatz zum Vereinsnamen in Grenzen. Vgl.
Bgmfr. vom 7. 2. 1893 (Nr. 11).
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