Der Text erzählt die Geschichte der Inhaftierung Warkens, doch er bleibt nicht in der
Anbetung des Märtyrers stecken, sondern zieht bereits allgemeine Schlüsse aus dem
konkreten Geschehen. Die bisher dominiernde Person Warkens wird hier zum Einzel¬
beispiel eines Gesamtvorganges verkleinert und erstmals nicht mehr aus der Froschper¬
spektive betrachtet. Der Text „ist eine Nachricht, die Erzählung einer Neuigkeit, die
sich mit einer deutlichen Absichtserklärung verbindet: eine Gewerkschaftsballade" lh.
Das „Rechtsschutz-Lied“ markierte eine neue Phase der Bergmannsiynk des Saarre¬
viers, die Zeit der Kampflieder begann. „Derjenige, der das Lied gedichtet hat ,Schön
ist das Bergmannsleben, herrlich ist sein Lohn‘ hat noch keinen Stollen gesehen“, meinte
der Wiebelskircher Vertrauensmann Schley am 25. August 1892 in Bildstock18 19 20. Ent¬
fremdung und Feindschaft lösten jetzt den ständischen Kosmos auf, die Bergarbeiter¬
kultur wurde auch an der Saar zur Bergarbeiterbewegungskultur. Die Bergmannslyrik
transportierte jetzt eine neues Identitätsgefühl: Das „Wir“ stand dem „Feind“ gegen¬
über, eine polarisierte Welt tauchte auf. Die zeremonielle Funktion blieb erhalten, aber
an die Stelle beschaulicher Standespreislieder traten nun Aufrufe zum Kampf. Man
brauchte sich nicht mit den Theorien der Arbeiterbewegung beschäftigt zu haben, um
die Liedertexte zu verstehen. Sie bauten auf Emotionen auf und vermittelten doch Leit¬
begriffe des politischen und gewerkschaftlichen Kampfes“0:
„Ein Ruf geht über Berg und Thal:
verbündet international
die Knappen sind; nun ist vollbracht
die erste Schicht zum großen Schacht.
Wir reichen uns die Bruderhand
und schwören Treue dem Verband.
Wir treten mutig an zur heiVgen Schicht
und fahren dann vereint durch Nacht zum Licht“21.
In kürzester Zeit schon wurden diese Kampflieder überaus beliebt. Man sang sie in den
Versammlungen des RSV und selbst in den entlegensten Bergmannsdörfern22. An der
Spitze der Popularität standen bald schon zwei Texte, die beide nicht aus dem Saarre¬
18 L id tke : Lieder der deutschen Arbeiterbewegung, S. 77. Ähnliches trifft für das Gedicht bei
der Grundsteinlegung zum Rechtsschutzsaal am 10. 5. 1891 zu, teilweise abgedruckt bei K i e-
fer: 25 Jahre, S. 17. Vgl. Gerhard B u n g e r t / Klaus-Michael Mall mann: Arbeiterlieder
und Arbeiterchöre an der Saar, in: Arbeitnehmer 27 (1979), S. 337 — 341.
19 BM Forster/Friedrichsthal an LR vom 3. 9. 1892, Konzept SAFR, Acta RSV, Ausfertigung
KrASB S/7. Text abgedruckt bei Heilfurth : Bergmannshed, S. 514 f.
20 Vgl. Walter Köpping: Vom Standesbewußtsein zum Klassenbewußtsein. Das Beispiel der
Bergmannsdichtung, in: Arbeiterdichtung. Analysen — Bekenntnisse — Dokumentationen,
hg. v. d. österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik, Wuppertal 1973, S. 92 — 106,
308 — 310. D e r s . : „Seid einig, seid einig! - dann sind wir auch frei“. Die Solidarität als The¬
ma der deutschen Arbeiterhteratur, in: GM 28 (1977), S. 259—270.
21 Text abgedruckt bei Köhler/Meier, S. 363 f. Steinitz, S, 289. Moßmann/Schieu-
n i n g , S. 40 f. Da Heilfurth : Bergmannshed, S. 619, lediglich auf Köhler/Meier verweist,
ist anzunehmen, daß der Text an der Saar entstand. Ähnlich „Selbst ist der Mann!“ in „Schlägel
und Eisen“ vom 23. 4, 1892 (Nr. 17) und das Gedicht zu Berwangers46. Geburtstag in,, Schlägel
und Eisen“ vom 24. 12. 1892 (Nr. 71), das trotz allem kämpferischen Pathos mit der humorigen
Variante schließt:
,, Vielleicht giebst du ein Füßchen Bier
Uns allen im Verein. —
Generalversammlung vor der Thür —
Es macht sich da sehr fein“
22 Köhler/Meier, S. 458. Maria Croon: Kleine Chronik aus einem saarländischen Berg¬
mannsdorf, in: Schacht und Heim 11 (1965), H. 5, S. 11 f.
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