Dennoch bewirkte die Zuwanderung aus den ehemals kurtrierischen Gebieten eine
grundlegende Konfessionsverschiebung. Das eigentliche Industriegebiet — im wesent¬
lichen identisch mit der im späten 16. Jahrhundert reformierten Grafschaft Nassau-
Saarbrücken — besaß seit der Mitte der 50er Jahre eine katholische Bevölkerungsmehr¬
heit. 1861 lebten bereits 34 210 Katholiken im Kreis Saarbrücken im Vergleich zu
27 603 Protestanten32; im Kreis Ottweiler lag das Konfessionsverhältnis bei 27 074 zu
12 36833, 1910 standen sich 63,0% Katholiken und 33,7% Evangelische in diesen bei¬
den Kreisen gegenüber34. Naturgemäß spiegelte sich diese Verteilung in der Belegschaft
der preußischen Saargruben überdeutlich wider35:
Jahr
Evangelisch
Katholisch
1875
6 069
17 318
1885
6 962
19 324
1890
7 685
21 677
Als der preußische Fiskus die Mehrzahl der Steinkohlengruben im Saarrevier nach dem
2. Pariser Frieden 1815 übernahm36, konnte er auf eine Fülle von Maßnahmen ständi¬
scher Belegschaftspolitik zurückgreifen: Eine fürstliche Verordnung vom 7. Januar
1 767 gewährte den zugezogenen Bergleuten völlige Personalfreiheit, den einheimischen
wurde der Frondienst bzw. das Frongeld um die Hälfte reduziert37. Die feudalabhängi¬
gen Bauern, die im Nebenberuf als zünftig organisierte Eigenlöhner nach Kohle gegra¬
ben hatten, verwandelten sich in halbleibeigene Bergleute38. Die Privilegien vom 25. Ja¬
nuar 1788 und 15. März 179Q39 setzten diese Entwicklung fort. Unter französischer Be¬
setzung — am 1. Juli 1797 - wurde das „Reglement für die Bergleute in den Nassau-
Saarbrückiscben und anderen Landen“40 41 erlassen, — „in seinen Hauptbestimmungen
noch heute die Grundlage der Arbeitsordnung für die Saarbrücker Gruben“4', wie
Bergrat Haßlacher 1904 schrieb. Die hier festgelegte Disziplinierung erfaßte das ge¬
samte Leben der Bergleute und raubte ihnen faktisch die gerade errungene persönliche
Freiheit.
32 Brandt, S. 17. E. Mü 11 er, S. 39. Vgl. Straus, S. 43f. Schorr, S. 36 f. Zur Verschie¬
bung im Sulzbach- und Fischbachtal vgl. Saam, S. 119 f. Speziell zu Sulzbach vgl. Maus,
S. 26 f.
33 Dieter Robert Bettinger: Die Verschiebung der Konfessionsverhältnisse im Saarland, in:
Die evangelische Kirche an der Saar — gestern und heute, Saarbrücken 1975, S. 202 — 220, An¬
gaben S. 212.
34 Ebd., S. 217. Vgl. Scholl, S. 163. Beilot, S. 116.
35 Zusammengestellt nach Arbeiterbelegschaft 1875, 1885, 1890, jeweils S. 2.
36 Vgl. Hugo-Hermann Pilger: Die Industrie des Saarlandes zwischen dem Ersten und Zwei¬
ten Pariser Frieden, in: SBK 1969, S. 71 — 83. Kurt Hoppstädter : Von der Revolutions-
zur Preußenzeit, in: SBK 1962, S. 73 — 77.
37 Haßlacher: Geschichtliche Entwicklung, S. 63.
38 Hue: Bergarbeiter, Bd. 1, S. 387.
39 Abgedruckt bei О. H. Werner, S. 105 f. Vgl. Johann Klein: Aus der guten alten Zeit.
Leibeigenschaft und Freiheiten der Berg- und Hüttenleute, in: Nach der Schicht 69 (1973),
Nrn. 27 und 28.
40 Abgedruckt im Bgmfr. vom 28. 7. 1871 (Nr. 4), Haßlacher: Geschichtliche Entwicklung,
S. 106— 108 sowie J. Klein: Rechtsschutzverein, S. 23 — 26. Vgl. Johann Klein : Betriebli¬
che und außerbetriebliche Verhaltensregeln der Berg- und Hüttenleute vor 200 Jahren, in:
Nach der Schicht 69 (1973), Nr. 30.
41 Haßlacher: Geschichtliche Entwicklung, S. 106.
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