Das Sozialprofil der führenden RSV-Mitglieder widerlegt für das Saarrevier die von
Eckhard Brockhaus bezüglich Ruhrrevier prononciert vorgetragene ,,Massenarbeiter-
Theorie“:, wonach fehlende Integration und mangelnder Besitzstand Garanten der Risi¬
kobereitschaft waren22. Das viel diskutierte Entwurzelungstheorem — vereinfacht in
der Gleichung „erhöhte Fluktuation = vermehrte Protestlatenz“ zu fassen23 — findet
im Saarbergbau keinerlei Beleg. Die Arbeiterschicht, die seit 1889 auf den Gruben den
Ton angab, war von langjähriger Bergarbeit geprägt, von dem erlebten Verlust ständi¬
scher Rechte in der Bergrechtsreform, von „Spichern-Erlebnis“ und Kulturkampf,
von den ,,goldenen 70er Jahre(n)“24 und dem Schockerlebnis der Gründerkrise.
Gleichzeitig war die Verbindung zum Land nicht abgerissen, alter und neuer Besitz
mischten sich bei ihnen. Die gemeinsamen Erfahrungen erlittener Korruption schwei߬
ten sie zusammen, doch Modelle eigenständiger Interessenartikulation standen ihnen
nicht zur Verfügung.
22 Brockhaus, S. 113 ff.
23 Vgl. Tenf elde: Sozialgeschichte, S. 511—514. David F. Crew : Berufliche Lage und Pro¬
testverhalten Bochumer Bergleute und Metallarbeiter im ausgehenden 19. Jahrhundert, in:
Hans Mommsen/Ulrich Borsdorf (Hrsg.): Glück auf, Kameraden! Die Bergarbeiter und ihre
Organisationen in Deutschland, Köln 1979, S. 71 — 88, spez. S. 80 — 83. Ders. : Bochum.
Sozialgeschichte einer Industriestadt 1860 — 1914, Frankfurt-Berlin-Wien 1980, S. 175 — 190.
Franz Josef Brüggemeier: Soziale Vagabundage oder revolutionärer Heros? Zur Sozialge¬
schichte der Ruhrbergarbeiter 1880 — 1920, in: Lutz Niethammer (Hrsg.): Lebenserfahrung
und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“, Frankfurt 1980, S. 193 — 213; un¬
ter dem Titel „Soziale Vagabunden oder revolutionäre Helden?“ in GM 31 (1980), S.
728-741.
24 Schillo am 29. September 1892, PK Wetzel an BM Petermann/Dudweiler vom 29. 9. 1892,
KrASB S/7.
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