einige Zeit nach Gegenden, wo sie hart arbeiten müssen“9. Der westfälische Oberpräsi¬
dent Konrad von Studt10 trug sich ebenso wie der Bergmeister Ernst Matthiass11 mit
dem Gedanken, im Falle eines Streiks Soldaten als Bergarbeiter einzusetzen. Die
,¡Preußischen Jahrbücher“ stellten fest: „Der Streik ist heute die eigentliche Waffe der
Sozialdemokratie. Durch den Streik wird in den Massen das Bewußtsein des Gegensat-
zes gegen die Besitzenden und der proletarische Korpsgeist erzeugt, der die Revolutio¬
nen macht“. Das deutsch-konservative Organ schlug darum vor, einerseits Arbeiter¬
ausschüsse und Einigungsämter einzurichten, andererseits jede Arbeitseinstellung und
jede gewerkschaftliche Organisation nach dem Vorbild des Puttkamer’schen Streiker¬
lasses unter Strafe zu stellen12.
In der Sitzung des preußischen Staatsmimsteriums am 12. Mai 1889 hatten sowohl Wil¬
helm II. als auch Bismarck „eine Verstaatlichung der Gewinnung der Kohlen“ als „an¬
zustrebendes Ziel“ bezeichnet13. In der Diskussion nach dem Mai-Streik kam man viel¬
fach auf diese Möglichkeit zurück: Wenn auch die Zeiten alter Knappenherrlichkeit
vorüber wären, weil „die Liebe zur Sache entschwunden“ sei14 15, so meinte Hermann
von Festenberg-Packisch doch, die entstandene Kluft durch eine Verstaatlichung der
Gruben schließen zu können13. Aus sozialen, volkswirtschaftlichen oder militärischen
Gründen griffen auch Georg Gothein16 und Karl August Hückinghaus17 diesen Vor¬
schlag auf, der vom „Verein für bergbauliche Interessen“ sofort heftig attackiert wur¬
de18.
Ausgehend von der Kaiser-Audienz für die drei Ruhrdelegierten stellte das Zentrum
den Gedanken der sozialen Verständigung in den Mittelpunkt seiner Bewältigung des
Mai-Streiks. Dasbach forderte, „daß die höheren Bergbeamten mehr Fühlung nach un¬
ten suchen“19 und bezeichnete, ebenso wie Stötzel und Hitze, die Schaffung obligatori¬
scher Arbeiterausschüsse als „das beste Mittel, um aus all dem Wirrsal herauszukom¬
men“20. „Der Trotz, der falsche Stolz, welcher mit den Arbeitern nicht verhandeln
will, der muß im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt und des Nationalvermögens be¬
9 Wohin steuern wir?, S. 78.
10 Kirchhoff, S. 115.
11 Ernst M a 11 h i a ß : Der nächste allgemeine Streik der deutschen Bergarbeiter und seine ratio¬
nelle Bekämpfung, Ratibor 1890, S. 56.
12 Preußische Jahrbücher 64 (1889), S. 118 f. Vgl. Erlaß IM Puttkamer vom 11. 4. 1886, Ab¬
schrift LHAK 442/6385, 311 -316. Abgedruckt in Fricke: Bismarcks Prätorianer, S.
338-340, sowie Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, S. 73 - 75. Vgl. Eckart
Kehr: Das soziale System der Reaktion in Preußen unter dem Ministerium Puttkamer, in:
ders.: Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialge¬
schichte im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Hans-Ulrich Wehler, Frankfurt - Berlin — Wien
1976, S. 64 -86.
13 Protokoll der Staatsministerialsitzung vom 12. 5. 1889, abgedruckt bei Grebe, S. 90-92,
Zitat S. 92. 1891 scheiterte dieser Plan wegen zu hohen Kosten am Einspruch des preußischen
Finanzministers.
14 Festenberg-Packisch: Entwicklung und Lage des deutschen Bergbaus, S. 64.
15 Ebd., S. 91 ff.
16 Georg Gothein: Sollen wir unseren Bergbau verstaatlichen? Mit einem Anhang: Wie ver¬
bessern wir unsere Arbeiterverhältnisse?, Breslau 1890.
17 Karl August Hückinghaus: Die Verstaatlichung der Steinkohlenbergwerke (= Staatswis¬
senschaftliche Studien, Bd. IV, 5), Jena 1892. Vgl. Wilhelm Sonntag : Die Verstaatlichung
der Steinkohlenbergwerke als politische Forderung und die deutschen politischen Parteien in
der Vorkriegszeit, Diss. Halle 1924,
18 Glückauf/Essen vom 31. 5. (Nr. 44) und 4. 6. 1890 (Nr. 45).
19 SJVZ vom 4. 6. 1889 (Nr. 127).
20 Stötzel am 4. 12. 1889, RT-Protokolle, 7. LP, 5. Sess. 1889/90, Bd. 2, S. 663. Hitze am 15.
3. 1890, LT-Protokolle, 17. LP, 2. Sess. 1889/90, Bd. 2, S. 738-745.
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