Ruhrbergleuten Zugeständnisse gemacht wurden; Schröder, Bunte und Siegel ver¬
pflichteten sich, mit allen Kräften auf einen Arbeitsfrieden hinzuwirken. Doch Ham-
macher hatte die Rechnung ohne seine Vorstandskollegen gemacht. Sie mißbilligten
sein Vorgehen, weil damit „ein nicht vorliegendes Unrecht der Bergwerksbesitzer“ an¬
erkannt werde; „vor allen Dingen müsse alles vermieden werden, was die ohnehin ge¬
fährdete Autorität der Werksbesitzer noch mehr abschwäche“91 92 93. Statt dessen verab¬
schiedete eine Vorstandssitzung am 18. Mai das „Essener Protokoll“92, in dem man ei¬
ne Reihe von Zusagen rückgängig machte bzw. abschwächte. Die Ruhrbergleute er¬
blickten darin einen Wortbruch; eine Revierkonferenz am 24. Mai erließ einen neuen
Streikaufruf94, der bereits abflauende Ausstand erhielt wieder Auftrieb95 96.
Auf viele Saarbergleute wirkte der Bruch des „Berliner Protokolls“ durch die Ruhrin-
dustriellen als Bestätigung ihres eigenen Vertrauensverlustes in die Bergbehörde. „Ich
erhalte überall die Antwort: ,Wir müssen es vom Kaiser schriftlich haben‘“9b, telegra¬
fierte Bergrat Gräff am 24. Mai. Seit 16. Mai dehnte sich die Bewegung überdies auf
Oberschlesien97 98 aus, am folgenden Tag auch auf Zwickau und Lugau-Oelsnitz". Da¬
mit war die Mehrheit der Belegschaften in allen wichtigen deutschen Kohlenrevieren in
den Ausstand getreten. Wenn man an der Saar nicht als einzige Bergarbeitergruppe leer
ausgehen wollte, so war jetzt der Zeitpunkt gekommen, den auswärtigen Beispielen zu
folgen99.
Um die Kommunikation unter den Streikenden zu erschweren, setzte der Landrat die
Sperrstunde in den Wirtschaften auf 21 Uhr herunter100, die Bergwerksdirektion ließ
die Schlafhäuser im Streikgebiet räumen101 102. Infanterie-Kompanien der Saarbrücker
Garnison besetzten die Schächte, Ulanen-Eskadronen patrouillierten um die unbe-
streikten Gruben, um Übergriffe der Ausständischen zu verhindern1^. Dennoch kam
91 Glückauf/Essen vom 18. 5. 1889 (Nr, 40). Abgedruckt bei Eschenbach , S. 57 - 60. B ö h-
mert, S. 140 f. Hue : Bergarbeiter, Bd. 2, S. 368 f. Imbusch, S. 290 f. Kö 11 mann :
Bergarbeiterstreik, Nr. 61, S. 104 f.
92 See b er/Witt wer, S. 434. Im Gefolge dieser Differenzen wurde Hammacher im Februar
1890 durch den Kruppdirektor Jencke als Vereinsvorsitzender abgelöst, vgl. Alex B ein /Hans
Goldschmidt: Friedrich Hammacher. Lebensbild eines Parlamentariers und Wirtschafts¬
führers 1824-1904, Berlin 1932, S. 125 ff.
93 Glückauf/Essen vom 22. 5. 1889 (Nr. 41). Abgedruckt bei E s c h e n b a c h , S. 65 - 68. H u e :
Bergarbeiter, Bd. 2, S. 370 f. Imbusch, S. 292 f. K ö lim an n : Bergarbeiterstreik, Nr. 73,
S. 118 f.
94 Tremonia vom25. 5. 1889 (Nr. 119). Abgedruckt bei K ö 11 m an n : Bergarbeiterstreik, Nr. 92,
5. 144 — 146. Vgl. Glückauf/Essen vom 25. 5. 1889 (Nr. 42).
95 Erst Anfang Juni war der Ruhraufstand beendet, vgl. Hue: Bergarbeiter, Bd. 2, S. 373 — 375.
96 Gräff/BI VII an BWD vom 24. 5. 1889, Abschrift Kr ASB 5/1. Ähnlich LR zur Nedden/SB an
RP vom 29. 5. 1889, KrASB S/2. Vgl. Bgmfr. vom 31. 5. 1889 (Nr. 23).
97 Hue: Bergarbeiter, Bd. 2, S. 379. Puls, S. 183 —194, 217 — 219.
98 Böhmert, S. 151 —157. Hue: Bergarbeiter, Bd. 2, S. 380.
99 „Ihr habt jezt angefangen und sezt auch durch. Denn wenn ihr jezt nach gebet dann ist es her¬
um“ , lautete ein handgeschriebener Anschlag auf einem Bergmannspfad im Quierschieder
Wald, BM Cloos/Heusweiler an LR vom 23. 5. 1889, KrASB S/l. Ähnliche Beispiele im Be¬
richt BM Stürmer/VK an LR vom 25. 5. 1889, ebd. „Wegen Anschlagens aufrührerischer Pro¬
klamationen“ wurde der Herr-ensohrer Bergmann Stuppi am 31. Mai zu 6 Monaten Gefängnis
verurteilt. Vgl. LR zur Nedden/SB an SA Hepner/SB vom 23. 5. 1889, ebd. Vgl. SZ vom 1.
6. 1889 (Nr. 126).
100 LR zur Nedden/SB an Kreisbürgermeister vom 22. 5. 1889, KrASB S/l.
101 BM Woytt/Sulzbach an LR vom 29. 5. 1889, KrASB S/2. E. Müller, S. 50.
102 „Nochmals wird ersucht, nicht zu wenig Truppen zu requirieren“, telegraphierte das Gene¬
ralkommando des 8. Armeekorps am 23. Mai 1889 an LR zur Nedden/ SB, KrASB S/l.
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