ten“AS. Alle Drohgebärden wurden jedoch durch die Ankündigung überlagert, die For¬
derungen der Bergleute genau zu prüfen. Dieser dominante Eindruck verstärkte sich
für die Öffentlichkeit noch durch die kaiserliche Audienz für die aus Hammacher, Ha-
niel, Velsen und Krabler bestehende Delegation des „Vereins für bergbauliche Interes¬
sen“ am 16. Mai, in der Wilhelm II. eine ,,möglichst nahe Fühlung mit den Arbeitern“
und eine baldige Verständigung verlangte48 49.
Der Empfang der drei Ruhrdelegierten schuf die grundlegende Legitimationsbasis für
das Vorgehen der Bergarbeiter in den übrigen Revieren. Am 13. Mai traten Belegschaf¬
ten des Aachener Reviers in den Ausstand50 51, am folgenden Tag griff der Streik auf die
niederschlesischen Gruben über31. Auch die 40 Arbeiter von Flöz III der saarpfälzi¬
schen Privatgrube Frankenholz legten am 14. Mai die Arbeit nieder52. Die Löhne stan¬
den hier extrem niedrig — im Durchschnitt 2 M. pro Schicht —, da die Grubengesell¬
schaft noch in Zubuße stand; die Schichtzeit betrug zwölf Stunden53 54. Die Streikenden
forderten einen Lohn von 3 — 4 M. sowie eine Schicht von zehn Stunden einschließlich
Ein- und Ausfahrt34. Direktor Cullmann bewilligte daraufhin für die Belegschaft von
Flöz III eine Reduktion der Schicht auf 11 Stunden und eine Lohnerhöhung von
12 — 15%. Die Wagen mit Mindergewicht oder unreinen Kohlen sollten in Zukunft
verrechnet und nicht mehr genullt werden. Doch am 15. Mai streikten die Bergleute
von Flöz I, weil für sie diese Konzessionen nicht gelten sollten. Auch als sie auf sie aus¬
gedehnt wurden, gaben sie sich damit nicht zufrieden und verließen die Grube. An die¬
sem Tag erzwang auch die Mannschaft von Flöz III die Ausfahrt nach 8 Stunden; es
kam zum vollständigen Ausstand aller 340 Mann von Frankenholz55. Erst als die Berg¬
werksgesellschaft am 17. Mai die Zugeständnisse schriftlich bekannt machte, fuhr die
Belegschaft wieder ein56. Es ging bei dem Streik also weniger um den materiellen Inhalt
des Kompromisses, sondern mehr um dessen Aktenkundigkeit. Das Vertrauen in
mündliche Zusagen war geschwunden.
Ebenso wie in Frankenholz kam auch auf der der Firma de Wendel gehörenden Gru¬
be Kleinrossein am 14. Mai erstmals Unruhe auf. Auf den Bergmannspfaden hingen
handgeschriebene Plakate mit der Forderung nach 8-Stunden-Schicht und Lohnerhö¬
hung von 30%57. Direktor Hubert Laigneaux gab daraufhin eine rückwirkende Erhö¬
hung der Schichtlöhne ab 1. Mai bekannt; für Hauer sollten sie 3,40 — 3,60 M., für
Schlepper 1,60 — 2,40 M. betragen. Gleichzeitig erklärte sich die Kleinrosseler Direk¬
tion dazu bereit, Gedingereklamationen entgegenzunehmen und Verhandlungen mit
48 Hue : Bergarbeiter, Bd. 2, S. 365.
49 Glückauf/Essen vom 18. 5. 1889 (Nr. 40). Eschenbach, S. 60 — 65. Penzler, S. 54 — 56.
Kaiser Wilhelm II. als Redner, S. 23f. Böhmert, S. 142 f. Seeber/Wittwer, S. 435 f.
50 Denkschrift zur Untersuchung der Arbeiter- und Betriebsverhältnisse, S. 7 f. I m b us ch , S.
286. Hue: Bergarbeiter, Bd. 2, S. 379.
51 Plötz, S. 122 ff. Hue: Bergarbeiter, Bd. 2, S. 379 f.
52 In der Literatur nur bei Kludfing, S. 276 und E. Schneider, S. 109 erwähnt.
53 Pfälzer Volksbote vom 17. 5. 1889 (Nr. 117). Pfälzer Zeitung vom 17. 5. 1889 (Nr. 134).
54 Gendarmerie-Station Mittelbexbach an Gendarmeriekompagnie der Pfalz/Speyer vom 15. 5.
1889, LASP H 3/1867.
55 Direktor Louis Cullmann/Frankenholz an BBA/ZW vom 15. 5. 1889, LASP H 3/1867 und N
1/235.
56 Bekanntmachung der Frankenholzer Bergwerksgesellschaft vom 17. 5. 1889, LASP N 1/235.
Bezirksamtmann Spöhrer/HOM an RP/Speyer vom 17. 5. 1889 sowie zusammenfassender
Streikbericht RP Braun/Speyer an bayrisches IM vom 19. 5. 1889, LASP H 3/1867.
57 Brandt, S. 55. In der Literatur wird die Kleinrosseler Bewegung im Mai 1889 nur noch von
Hue: Bergarbeiter, Bd. 2, S. 379, kurz erwähnt.
103