Hatten die französischen Ansprüche an die Fürsten aus dem pfälzischen Haus
auch in der Zeit vor und während des Siebenjährigen Krieges nicht geruht207,
so entwickelte sich im Verlauf des Jahres 1766 die politische Aktivität Frank¬
reichs an seiner Nord- und Ostgrenze wieder zur vollen Stärke. Nachdem am
22. Februar desselben Jahres der ehemalige Polenkönig Stanislaus Leszczynski,
seit 1737 Herzog von Lothringen, gestorben war, fielen Lothringen und Bar auf¬
grund der Wiener Friedenspräliminarien von 1735 an Frankreich, welches so¬
mit unmittelbarer Nachbar der seiner Ostgrenze vorgelagerten Reichsstände
Pfalz-Zweibrücken, Nassau-Saarbrücken und Kurtrier wurde208. Als der Her¬
zog von Choiseul am 5. April 1766 wieder die Leitung der auswärtigen Ange¬
legenheiten Frankreichs, die er seit dem 13. Oktober 1761 seinem Vetter, dem
Herzog von Praslin, überlassen hatte, übernahm, wurden sogleich Verhand¬
lungen mit Karl Theodor und Christian IV. wegen der bailliages contestés, der
kurpfälzischen Ämter Selz und Hagenbach aufgenommen. Der pfälzische Kur¬
fürst hatte sich bisher geweigert, die französische Oberhoheit über diese Ämter,
die er als dem Oberamt Germersheim zugehörig ansah, anzuerkennen209. Chri¬
stian, der seinen 1764 erloschenen Unionsvertrag erneuern wollte, erklärte sich
deshalb bereit, Selz und Hagenbach gegen Bestandteile der Oberämter Berg¬
zabern und Meisenheim von Kurpfalz einzutauschen und unter die französi¬
sche Souveränität zu stellen. Am 16. Juni 1766 wurde in Schwetzingen ein Ver¬
trag zwischen Kurpfalz, Pfalz-Zweibrücken und Frankreich abgeschlossen210.
Kurpfalz trat die beiden Ämter Selz und Hagenbach an Pfalz-Zweibrücken
ab211. Zugunsten des pfälzischen Kurfürsten verzichtete der französische König
auf die Ausübung von Souveränitätsrechten jeglicher Art über alle zum Ober¬
207 Dem neuen Gesandten am kurpfälzischen Hof in Mannheim, Gabriel d'Alesme, über¬
gab der Herzog von Choiseul 1759 eine Instruktion, in welcher die immer wieder¬
kehrenden Rechtsansprüche Frankreichs allzu deutlich zum Ausdruck kamen. Siehe
dazu Recueil des Instructions VII, S. 476.
208 Siehe dazu herrmann, Das Königreich Frankreich, S. 464 ff.
209 Dauernde Reibereien mit französischen Behörden führten offenbar zu dem Entschluß
der kurpfälzischen Regierung, Selz abzutreten. 1742 war ein Appellationsgerichtshof
in Selz errichtet worden. Der Conseil souverain d’Alsace entschied durch Urteil vom
15. November 1759, daß der König die Jurisdiktion eines ausländischen Fürsten in
seinen Staaten nicht dulden könne, und verbot dem kurpfälzischen Amtmann Vogel
seine Geschäfte weiterzuführen. Siehe dazu die Instruktionen für den Gesandten
O'Dunne aus dem Jahr 1763 (Recueil des Instructions VII, S. 509).
210 Text des Vertrages vom 10. Mai 1766: BayHStA München Pfalz-Zweibrücken,
Urkunden Nr. 2797, sowie AAE Paris Corr. Pol. Palatinat-Deux Ponts, Supplément 5,
fol. 85-92.
211 Über die Abtretungen von Pfalz-Zweibrücken an Kurpfalz vgl. HAUSSER, Geschichte
der rheinischen Pfalz, Bd. 2, S. 918 f. Die Verhältnisse in den Ämtern Selz und Hagen¬
bach wurden durch lettres patentes vom Mai 1774 geregelt. Die Registrierung dieser
Patentbriefe von 1774 soll allerdings, so Ludwig (Die deutschen Reichsstände im El¬
saß, S. 25) unterblieben sein. Der Herzog bestellt die geistlichen und weltlichen
Beamten, also auch den Amtmann und die zur Rechtspflege gehörigen Personen; der
Amtmann mus aber bei dem hohen Rath zu Kolmar, an welchen noch zur Zeit unmitlel-
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