dieses Kartenhaus fällt unrettbar zusammen, wenn wir uns
darauf besinnen, daß menschliches Bewußtsein einfaches Ein¬
zelwesen, daher Vernunft und Sinnlichkeit, wenn diese beiden
überhaupt zum Bewußtsein Cehöriges ausdrücken, Allgemeines
sein müssen, also nicht Einzelwesen und darum nicht Gebieter
oder Gehorchendes sein können, da nur Einzelwesen, und zwar
Bewußtseinswesen gebieten oder gehorchen.
Eis leidet mir nun auch gar keinen Zweifel, daß Kant, ohne
sich freilich darüber klar zu werden, die „Vernunft“ des mensch¬
lichen Bewußtseins als den Gebieter („Du sollst“), die „Sinnlich¬
keit“ als das Gehorchende, das menschliche Bewußtsein selbst
als zusammengesetztes Einzelwesen angesehen hat, wozu sich
ihm wohl auch unbemerkt die überlieferte Religionsethik ge¬
sellt und mitgeholfen hat, ihm den kategorischen Imperativ als
unantastbare Tatsache zu sichern. Wir können aber diese Kan-
tische in der Tat auf die zwei vermeintlichen Einzelwesen
„Vernunft“ und „Sinnlichkeit“ des menschlichen Bewußtseins
aufgebaute Pflichtethik des Sollens nicht anerkennen als
Wissenschaft, da menschliches Bewußtsein einfaches Einzel¬
wesen ist, aus dem allein niemals klarzulegen ist, daß das Sollen
möglich sei. Kant aber lebt und webt in seiner Pflichtethik
des Sollens, was sich auch besonders darin zeigt, daß er jedes
Wollen aus Neigung aus dem Reiche des Sittlichen verweist.
Sollen findet sich ja allein in der Herschaftseinheit („Gebieter
und Knecht“), das Wollen des Knechtes ist aber ausnahmslos
Zwrangswollen, das will sagen, das Gesollte für sich betrach¬
tet steht dem Knechte da im Lichte der Unlust, und nur als
Mittel zum Zweck ist es überhaupt gewollt. Es war also durch¬
aus folgerichtig, wenn Kant im Wollen des Gesollten die „Nei¬
gung“ strich; nur mußte er dabei bedenken, daß ihm dann
eben alles sittliche Wollen als Zwangs wollen (Sollen wollen)
ein Mittelwollen zu einem Zweck sein müsse. Daher werden
wir darin wahrlich nichts Abwegiges finden, wenn in der Kan-
tischen Pflichtethik eine Glückseligkeitslehre versteckt ist, die
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