jeder Lebenseinheit sich findet, nennen wir auch das Gewissen,1
und zwar sprechen wir von dem Pflichtbewußtsein insbeson¬
dere als von dem Gewissen, wenn ein menschliches Bewußt¬
sein entweder von ihm Gewirktes (Willenstat, Handlung) oder
auch ein von ihm Gewünschtes als pflichtgemäß oder pflicht¬
widrig beurteilt. Wann immer vom Gewissen die Rede ist,
haben wir es also mit pflichtbewußtem Geiste zu tun, der
über von ihm entweder Gewirktes oder Gewünschtes in An¬
sehung seiner Pflicht urteilt; im ersten Fall schaut er in seine
Vergangenheit, im zweiten in seine Zukunft. Daß im ersten
Fall sein Urteilen bei Pflichtwidrigem mit Reue und Schmerz,
bei Pflichtgemäßem mit Befriedigung und Freude verknüpft
ist, ergibt sich schon ohne weiteres daraus, daß der urteilende Geist
selbst Pflichtbewußtsein hat. Aus demselben Grunde ist auch
leicht verständlich, daß im zweiten Fall das betreffende Be¬
wußtsein das pflichtwidrig Gewünschte mit Mißbilligung, das
pflichtgemäße mit Billigung begleitet.
In allen Gewissens fällen haben wir es mit dem aus sei¬
nem Pfichtbewußtsein heraus urteilenden menschlischen Geiste
zu tun; nicht aber ist etwa das Gewissen oder Pflichtbewußt¬
sein selbst das Urteilende, und es ist ein gar schiefer Ausdruck,
wenn man von dem urteilenden und verurteilenden Gewissen
spricht. Denn „Pflichtbewußtsein“ bedeutet nicht ein Bewußt¬
seinswesen, sondern „sich pflichtig wissen“, es bezeichnet also
ein Wissen, indessen nur Bewußtseinswesen, nicht aber Wis¬
sen kann urteilen. Ein Bewußtsein freilich kann Pflichtbe¬
wußtsein haben und dann auch aus diesem heraus urteilen
d. h. Gewissen zeigen. Der Umstand, daß das Pflichtbewußt¬
sein als Gewissen den menschlichen Geist in einer Doppelstel-
1 Mit Recht spricht Hermann Schwarz, „Einführung in Fichtes Reden*,
vom Vaterlandsgewissen, und mit Recht lehnt er die Rede vom „Welt¬
gewissen* ab; denn Vaterland ist in der Tat eine besondere Einheit
menschlicher Bewußtseinswesen, wer aber kennt die besondere Ein¬
heit aller menschlichen Bewußtseinswesen der Welt?
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