Trifft doch auf das menschliche Bewußtsein, um mit dem
Scholastiker zu reden, wohl das posse peccare und das posse
non peccare, nicht aber das non posse non peccare zu; eine
Lebenseinheit von Bewußtseinswesen, seien es „Mitglieder“ oder
„Glieder41, ohne jene beiden Möglichkeiten müßten wir unter
den Engeln suchen, aber deren Lebenseinheit wäre dann auch
„sittenlos4" d. h. sie hätte „Sitte4, nicht aufzuweisen.
Diese beiden nicht zu leugnenden Möglichkeiten für das
Wollen des einzelnen Bewußtseins sind es augenscheinlich, die
dazu verleiten, für den Lebenseinheitler in der „Sitte4" selbst
ein Gebot oder einen Befehl zu finden, da man ja ganz beson¬
ders gewöhnt ist, die beiden Möglichkeiten dann für ein Bewußt¬
sein hervorzuheben, wenn ihm ein Befehl oder ein Gebot seitens
eines anderen Bewußtseins zuteil wird. So kommt es denn,
daß man, wann überhaupt die beiden Möglichkeiten für ein
Bewußtsein in Frage kommen, ohne weiteres, wie z. B. auch
bei der „Sitte“, einer Lebenseinheit, meint, annehmen zu
dürfen, daß sich auch hier ein Gebieter finden müsse. Und
daß man dann zu der Lebenseinheit selbst als dem Gebieter die
Zuflucht nimmt, läßt sich verstehen, zumal, da die Lebensein¬
heit, gleich wie gebietendes Bewußtsein, selbst Einziges ist.
Man übersieht freilich den trennenden Graben, der sich trotz¬
dem zwischen beide legt, denn die Lebenseinheit ist zwar Ein¬
ziges, aber nicht, wie das Bewußtsein, auch Einzelwesen, und
doch steht selbstverständlich fest, daß nur ein Einzelwesen und
zwar nur ein Bewußtsein gebieten kann. Es zeigt sich auch
bei der Umdichtung des Einzigen „Lebenseinheit“ in Einzel¬
wesen „Bewußtsein“ dasselbe, was wir bei der allgemein ver¬
breiteten Umdichtung der Wirkenseinheit „Mensch44 in Einzel¬
wesen „Mensch44 durch alle Jahrhunderte unserer Kulturge¬
schichte vor uns haben.
Wer sich aber noch nicht beirren ließe, weiter an dem an¬
geblichen Einzelwesen „Lebenseinheit4‘ festzuhalten, dem wird
doch zweifellos der Staar gestochen durch den Hinweis, daß,
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