gleichen Herkunft der Bevölkerung kam die vom preußischen Staat und den
Eisenindustriellen, besonders dem Besitzer des Neunkirchener Werks, dem Frei¬
herrn von Stumm-Halberg, gleichermaßen betriebene soziale Fürsorge. Sie ver¬
besserte die Lage der Arbeiterschaft, förderte den Hausbau unter den Arbeitern
und regelte Notlagen des Berg- und Hüttenarbeiters durch Knappschaftsvereine10 11.
Dieses patriarchalische System verhinderte, daß die saarländischen Arbeiter wie
in anderen Industrierevieren zu besitzlosen Proletariern herabsanken. Die nega¬
tiven Auswirkungen, als „System der strengen Hand“ bezeichnet11, behinderten
vor allem die politische Entwicklung der Arbeiterschaft. Daher fanden Sozial¬
demokratie und Freie Gewerkschaften vor 1918 kaum Eingang im Saargebiet.
Aber auch jede andere Art des Zusammenschlusses der Arbeiterschaft stand im
Gegensatz zu den Anschauungen der führenden Persönlichkeit an der Saar, des
Freiherrn von Stumm. In seinen Vorstellungen reichte sein patriarchalisches
System für die soziale Lage des Arbeiters voll aus. Jeder Versuch sich zu organi¬
sieren war für ihn bereits ein Schritt zur Sozialdemokratie. Die ersten Ansätze,
Gewerkschaften aufzubauen, liegen daher erst in der Zeit der großen Streiks
zwischen 1890 und 189212. Von einer eigentlichen Gewerkschaftsbewegung kann
man allerdings erst seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts sprechen. Auch dann
noch wurden die Arbeiterorganisationen, im Saargebiet waren es vornehmlich die
christlichen Gewerkschaften und katholische Facharbeitervereine13, durch die
Arbeitgeber behindert. Der Grund für ihr schließlich doch erfolgreiches Auftreten
liegt nicht nur im Tode des Freiherrn von Stumm. Das patriarchalische System
war um die Jahrhundertwende, allein schon wegen der Betriebsgrößen, überholt14.
Die Arbeitgeber versuchten mit „gelben“ Gewerkvereinen zu retten, was zu retten
war. Sie gaben aber dadurch die Grundlage der Stummschen Anschauungen preis,
daß zwischen Arbeitgeber und Arbeiter keine Organisation stehen dürfe15.
Nach dem Gesagten unterschied sich das 1919 als politisches Gebilde entstandene
Saargebiet in erster Linie in sozialer Hinsicht von den anderen deutschen In¬
dustriegebieten. Wirtschaftlich wurde es im Laufe des 19. Jahrhunderts eine
Einheit, die über die preußisch-bayerische Landesgrenze hinausgriff und der Ab¬
trennung im Umfange des Versailler Vertrages in etwa entsprach.
10 M ü 11 e r , Ernst, Die Entwickelung der Arbeiterverhältnisse auf den staatlichen
Steinkohlenbergwerken vom Jahre 1816 bis zum Jahre 1903 (Der Steinkohlenberg¬
bau des Preuß. Staates in der Umgebung von Saarbrücken, Teil VI), Berlin 1904;
Brandt, Alexander von, Zur sozialen Entwickelung im Saargebiet, Leipzig 1904;
Gabel, Karl Alfred, Kämpfe und Werden der Hüttenarbeiter-Organisationen an der
Saar, Saarbrücken 1925, S. 36ff.; Junghann, Heinrich, Das Schlafhaus- und Ein¬
liegerwesen im Bezirk der Kgl. Bergwerksdirektion Saarbrücken, Diss. Münster 1912.
11 Gabel, Hüttenarbeiter-Organisationen, S. 47. Siehe auch Hellwig, Fritz, Carl
Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, Heidelberg-Saarbrücken 1936, S. 295ff.
12 Von Brandt, Soziale Entwickelung, S. 54—96; Müller, Arbeiterverhältnisse, S.
47ff.; Gabel, Flüttenarbeiter-Organisationen, S. 80ff.; Kiefer, Peter, Die Orga¬
nisationsbestrebungen der Saarbergleute, ihre Ursachen und Wirkungen auf dem Be¬
reich des Saarbrücker Bergbaues und ihre Berechtigung, Diss. Straßburg 1912, S. 118ff.
Der Verfasser des zuletzt genannten Werkes ist nicht identisch mit dem Funktionär
der christlichen Saargewerkschaften vor 1935, Peter Kiefer.
13 G a b e 1, Hüttenarbeiter-Organisationen, S. 125ff.
14 S t r a u s , Gesellschaftliche Gliederung, S. 67.
15 G a b e 1, Hüttenarbeiter-Organisationen, S. 173ff.
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