Eine zweite Chronik Sigeberts von Gembloux, der seinerseits zwei Jahrzehnte
seines Lebens (1051— ca. 1071) in Metz verbrachte und manches Werk zur Met¬
zer Bischofsgeschichte geschrieben hat, gab es freilich — nach allem, was bekannt
ist — nicht7. Sigebert hat ein solches Opus audi nicht in dem am Schluß seines Le¬
bens selbst aufgestellten Katalog seiner Schriften aufgeführt8. Bei Meurisse in der
Metzer Bischofsgeschichte findet man aber9 bezeichnenderweise die Wendung „de
la main propre de Sigebert“ im Zusammenhang mit der Behandlung des Todes
des Bischofs Walo von Metz bei Remich 882 in Sigeberts Chronik. (Randnotiz: La
Chronique MS de Sigebert, wobei nur wenige Zeilen darüber als Quelle für die
Schlacht bei Remich „Histoire de Metz“ angeführt wird). So vermeint man doch,
hier zu bemerken, wie de Camp eine ihm selbst nicht bekannte Metzer Chronik
einem Verfasser zuzuordnen versuchte, mit dem diese gar nichts zu tun hat. Da¬
mit darf wohl de Camp m. E. nicht mehr als der Primärzeuge für die „seconde
chronique de Metz“ und das Zitat Gerardus comes nostrae civitatis filius Ricardi
potentis angesehen werden. Der Abbé von Signy wußte um jene Quelle lediglich
durch den Père Benoit Picart aus Toul.
Doch welche Bedeutung haben diese Darlegungen für den Quellenwert jenes Zi¬
tates? Diese Frage ist von erheblicher Bedeutung. Ihre Beantwortung setzt den
vielangefochtenen Satz auf alle Fälle in ein wesentlich positiveres Licht als bis¬
her. Da nämlich Benoit Picart in seinen Darlegungen über die Herkunft des
Hauses Lothringen selbst bestrebt war, die Abstammung der drei berühmten Ge¬
schwister Graf Gerhard von Metz, Graf Adalbert vom Saargau und Adelheid,
der Mutter Kaiser Konrads IL, von dem Grafen Eberhard vom elsässischen Nord¬
gau zu erweisen, konnte er, der nunmehr als der Primärzeuge anzusehen ist, gar
kein Interesse daran gehabt haben, etwa einen Grafen Richard von Metz als Va¬
ter dieser drei berühmten Geschwister zu erfinden. Ein Rieh ear drus ¡Kuh ardus
paßte ihm ja gar nicht in sein System; ihn mußte er erst in einen Eberhardus um¬
interpretieren. Picart hätte gewiß nicht eine solche Quellenaussage erfunden, die
seinem System widersprach bzw. die erst mühsam in die von ihm gewünschte Be¬
deutung umgebogen werden mußte, wäre es ihm an dieser Stelle um die
Schließung einer genealogischen Lücke — und zwar mit dem Mittel der
Fälschung — gegangen. Ein „filius Eberhardi“ hätte ihm die Mühe und die
bleibenden Zweifel an der Umdeutung erspart! So aber mußte er sich mit der
Bemerkung abfinden: „Si celuicy (= Richard) n’est pas le même qu’Eberard, il
n’y aura qu’un degré à ajouter à cette généalogie, en faisant Richard fils de ce
dernier, et on trouvera qu’il n’y aura rien de dérangé dans ce sistême“10.
7 Vgl. Wattenbach-Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen im MA I, 4
(1948) S. 727 — 737.
8 Sigebert, De scriptoribus ecclesiasticis c. 171, in: Migne, PL 160 S. 587 ff.
9 Meurisse, Histoire des evesques de l’Église de Metz (1634) S. 277.
10 Benoit Picart, L’origine de la très illustre maison de Lorraine (1704) S. 154.
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