Demokratisierung des gesamten Systems geschaffen. Branting war sich
dessen durchaus bewußt und erstrebte eine solche Umwandlung. Deshalb
stellte er in seinen Worten über das offizielle Schlußkommunique nicht wie
Hanotaux und Cecil heraus, daß eine friedliche Übereinkunft getroffen
worden sei, sondern betonte nachdrücklich jene Punkte, die Voraussetzung
zu einer Revision der bisherigen Saarpolitik sein sollten, insbesondere die
gemeinsame Verantwortlichkeit der Regierungskommission für ihre Hand¬
lungen und die Unabhängigkeit aller ihrer Mitglieder von den Regierungen
ihres Heimatlandes214. Trotz seines Nachgebens in der Frage der Zulassung
der saarländischen Delegation zu den Ratssitzungen sah Branting für die
Zukunft noch alle Chancen zu einer demokratischen Entwicklung des Saar¬
systems offen.
Ähnlich wie Branting beurteilten die saarländischen Parteien die Über¬
prüfung des Saarsystems im Jahre 1923 als Auftakt zur Durchsetzung ihrer
Ziele. Deshalb sandten sie in den Jahren 1923, 1924 und 1925 eine Fülle
von Denkschriften an den Völkerbundsrat215. Im Rat wurde eine wirksame
Kontrollinstanz erblickt, und man glaubte gleichzeitig an eine Lösung der
Saarprobleme auf der ideellen Basis des Völkerbundes. Die Petitionen der
folgenden Jahre arbeiteten verschiedene Gesichtspunkte heraus.
Zunächst und vor allem ging es um die Umbesetzung der Regierungskom¬
mission, damit diese ein wirklich neutrales Gremium werde, und um den
Abzug der französischen Truppen. Deshalb enthielten die Eingaben an den
Rat viele Einzelheiten über den französischen Einfluß in der Regierungs¬
kommission216 und forderten die Abberufung der französischen Truppen
und den Ausbau der saarländischen Gendarmerie. In wesentlichen Punkten
stimmten diese Denkschriften der Saarparteien mit den Zielen des Sekreta¬
riats und den Tendenzen der englischen Ratspolitik217 in den folgenden
Jahren überein. So konnten die Petitionen der saarländischen Parteien und
die Rücksprachen ihrer Delegationen in Genf einen gewissen Einfluß auf
die Haltung des Rates ausüben. Z. B. berief sich Lord Parmoor auf der
Märztagung 1924, als die Frage der Vermehrung der örtlichen Gendarmerie
und des Rückzugs der französischen Truppen erörtert wurde, ausdrücklich
auf die Unterrichtung durch die saarländische Delegation218. Die Truppen-
und Gendarmeriefrage wurde vom Rat regelmäßig geprüft219 und durch
viele Verhandlungen des Sekretariats mit der Regierungskommission und
214 Ebenda.
215 Vgl. Verzeichnis der Denkschriften in Anlage 6, unten S. 347 ff.
216 Die Probleme der Gesetzgebung im Saargebiet wie die Frage der frz. Grubenschulen
und der Notverordnungen, die ebenfalls vom Rat aufgegriffen wurden, werden im
folgenden Kapitel behandelt.
217 Das zeigt neben dem Verlauf der Ratssitzungen und den Aufzeichnungen im Archiv
des Sekretariats auch der Bericht Lord Robert Cecils vor dem engl. Unterhaus am
29. 12. 1923, Great Britain, Command Papers CMD 2010—2032, in der Bibliothek
der UNO in Genf unter Miscellaneous No 3 (942 p 252).
218 S.D.N. J.O. V,4 (1924), S. 505—508, Dikussion über diese Fragen, Lord Parinoor,
S. 506.
219 Ebenda, V,4 S. 505ff. (März 1924); V,10 S. 1310ff. (Sept. 1924); VI,4 (1925), S. 467
(März 1925); Wambaugh, a. a. O., S. 84f.
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