Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

Demokratisierung des gesamten Systems geschaffen. Branting war sich 
dessen durchaus bewußt und erstrebte eine solche Umwandlung. Deshalb 
stellte er in seinen Worten über das offizielle Schlußkommunique nicht wie 
Hanotaux und Cecil heraus, daß eine friedliche Übereinkunft getroffen 
worden sei, sondern betonte nachdrücklich jene Punkte, die Voraussetzung 
zu einer Revision der bisherigen Saarpolitik sein sollten, insbesondere die 
gemeinsame Verantwortlichkeit der Regierungskommission für ihre Hand¬ 
lungen und die Unabhängigkeit aller ihrer Mitglieder von den Regierungen 
ihres Heimatlandes214. Trotz seines Nachgebens in der Frage der Zulassung 
der saarländischen Delegation zu den Ratssitzungen sah Branting für die 
Zukunft noch alle Chancen zu einer demokratischen Entwicklung des Saar¬ 
systems offen. 
Ähnlich wie Branting beurteilten die saarländischen Parteien die Über¬ 
prüfung des Saarsystems im Jahre 1923 als Auftakt zur Durchsetzung ihrer 
Ziele. Deshalb sandten sie in den Jahren 1923, 1924 und 1925 eine Fülle 
von Denkschriften an den Völkerbundsrat215. Im Rat wurde eine wirksame 
Kontrollinstanz erblickt, und man glaubte gleichzeitig an eine Lösung der 
Saarprobleme auf der ideellen Basis des Völkerbundes. Die Petitionen der 
folgenden Jahre arbeiteten verschiedene Gesichtspunkte heraus. 
Zunächst und vor allem ging es um die Umbesetzung der Regierungskom¬ 
mission, damit diese ein wirklich neutrales Gremium werde, und um den 
Abzug der französischen Truppen. Deshalb enthielten die Eingaben an den 
Rat viele Einzelheiten über den französischen Einfluß in der Regierungs¬ 
kommission216 und forderten die Abberufung der französischen Truppen 
und den Ausbau der saarländischen Gendarmerie. In wesentlichen Punkten 
stimmten diese Denkschriften der Saarparteien mit den Zielen des Sekreta¬ 
riats und den Tendenzen der englischen Ratspolitik217 in den folgenden 
Jahren überein. So konnten die Petitionen der saarländischen Parteien und 
die Rücksprachen ihrer Delegationen in Genf einen gewissen Einfluß auf 
die Haltung des Rates ausüben. Z. B. berief sich Lord Parmoor auf der 
Märztagung 1924, als die Frage der Vermehrung der örtlichen Gendarmerie 
und des Rückzugs der französischen Truppen erörtert wurde, ausdrücklich 
auf die Unterrichtung durch die saarländische Delegation218. Die Truppen- 
und Gendarmeriefrage wurde vom Rat regelmäßig geprüft219 und durch 
viele Verhandlungen des Sekretariats mit der Regierungskommission und 
214 Ebenda. 
215 Vgl. Verzeichnis der Denkschriften in Anlage 6, unten S. 347 ff. 
216 Die Probleme der Gesetzgebung im Saargebiet wie die Frage der frz. Grubenschulen 
und der Notverordnungen, die ebenfalls vom Rat aufgegriffen wurden, werden im 
folgenden Kapitel behandelt. 
217 Das zeigt neben dem Verlauf der Ratssitzungen und den Aufzeichnungen im Archiv 
des Sekretariats auch der Bericht Lord Robert Cecils vor dem engl. Unterhaus am 
29. 12. 1923, Great Britain, Command Papers CMD 2010—2032, in der Bibliothek 
der UNO in Genf unter Miscellaneous No 3 (942 p 252). 
218 S.D.N. J.O. V,4 (1924), S. 505—508, Dikussion über diese Fragen, Lord Parinoor, 
S. 506. 
219 Ebenda, V,4 S. 505ff. (März 1924); V,10 S. 1310ff. (Sept. 1924); VI,4 (1925), S. 467 
(März 1925); Wambaugh, a. a. O., S. 84f. 
83
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.