Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

5. Erfolg und Begrenzung des Einflusses der Parteien in der Ausbalan¬ 
cierung des internationalen Regierungssystems 
Verlauf und Ergebnisse der Ratstagung vom Juli 1923 stellten aufsehen¬ 
erregende Ereignisse dar und bedeuteten den Übergang zu einer endgültigen 
Kräfteverteilung in dem internationalen Regierungssystem der Saar. Die 
Parteien sahen in den Vorgängen des Jahres 1923 nur den Erfolg ihrer 
Politik210. Die Ratsdiskussion hatte zwar eine Reihe jener Beschwerden 
aufgegriffen, die Delegationen und Petitionen der Saarparteien vorgebracht 
hatten, aber sie zeigte überdies klar, daß der Einfluß der Parteien sich im 
Zusammenspiel mit anderen Faktoren auswirkte wie begrenzte. Lord Cecils 
Vorgehen war sowohl von den Gesichtspunkten des englischen Verhältnisses 
zur französischen Politik des Jahres 1923 als auch von denen der saar¬ 
ländischen Parteien, Waughs, Colbans und des Sekretariats bestimmt. Die 
Rolle des Schweden Branting auf der Ratstagung verdeutlicht vielleicht am 
besten, wieweit die Ziele der Saarländer erreicht worden waren. Branting 
muß innerhalb des Rates als der eigentliche Repräsentant der saarländischen 
Wünsche angesehen werden. Er hatte nicht nur im April 1923 den Anstoß 
zu einer kritischen Auseinandersetzung des Rates mit der Saarentwicklung 
gegeben und sich in seinen Ausführungen fast wörtlich der Argumente der 
saarländischen Denkschrift vom 24. März 1923 bedient211, sondern griff 
auf der Julitagung des Rates die politisch weitreichende Bitte der saar¬ 
ländischen Vertreter um Anhörung vor dem Rat auf212. Lord Robert Cecil 
schlug daraufhin vor, auf die Hinzuziehung der Saardelegation zu ver¬ 
zichten, bis man die Befragung der Mitglieder der Regierungskommission 
abgeschlossen habe. Nach der Verhandlung drängte Branting nicht weiter 
auf die Anhörung der Saarländer. Da die Überprüfung des Saarregimes so 
ernsthaft und gründlich durchgeführt worden sei, glaube er „devoir céder 
au désir de certains de mes collègues“213. Damit bezog er sich nicht nur auf 
die Wünsche Frankreichs, sondern auch des Sekretariats. Der Versuch der 
saarländischen Parteien, Zugang zu den Ratssitzungen und auf diese Weise 
direkten Einfluß in der höchsten Kontroll- und Führungsinstanz des inter¬ 
nationalen Regierungssystems zu erhalten, war gescheitert. Es war das 
einzige Mal, daß eine reale Chance zur Erreichung dieses Zieles bestand, 
da die Kritik in der internationalen Öffentlichkeit auf ihrem Höhepunkt 
stand. Eine Zulassung der Delegation in dieser einmaligen Situation hätte 
wohl dazu geführt, daß sie zur ständigen Einrichtung geworden wäre. 
Regierungskommission und Vertretung des saarländischen Landesrats wären 
dann beinahe als gleichberechtigte Partner vor dem Schiedsgericht des Rates 
erschienen. Dieser Schritt hätte eine erhebliche Schwächung der Stellung der 
Regierungskommission bedeutet und eine unaufhaltsame Dynamik zur 
210 So bes. Röchling, Wir halten die Saar, S. 97, 
211 Vgl. oben S. 77. 
212 S.D.N. J.O. IV,8 (1923), S. 871; Am 13. 3. 1923 hatten die politischen Parteien des 
Landesrates eine Denkschrift „betreffend offizielle Anhörung des Landesrates seitens 
des Völkerbundsrates“ eingereicht (C. 231. M. 131. 1923. I.). 
213 Ebenda, S. 931. 
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