das Zusammenwirken all dieser Kräfte kam es zu einem eindrucksvollen
Vorgehen gegen Raults Saarpolitik, die sich in aller Augen als von Frank¬
reich abhängig und mit dem Geist des Völkerbundes unvereinbar darstellte.
Während des Streiks verfaßten die politischen Parteien eine Reihe Eingaben
an den Völkerbund190. Von besonderer Bedeutung für die weitere Entwick¬
lung waren die Denkschriften mit der Forderung auf Entfernung des fran¬
zösischen Militärs, gegen die Notverordnungen Raults vom 7. März 1923
und vom 2. Mai 1923 und schließlich die große zusammenfassende Anklage
gegen die Politik der Regierungskommission in der Denkschrift „Der Geist
des Saarstatuts und die Praxis der Regierungskommission“191. In diesen
Denkschriften wurde vor allem das Verhalten der Regierungskommission
als undemokratisch herausgestellt; es widerspreche dem Geist des Saarstatuts
und den Ideen des Völkerbundes. Außerdem wurde Frankreichs Saarpolitik
mit dem Hinweis auf den Dariac-Bericht angeprangert. In Besprechungen
der Delegation des Landesrats mit Ratsmitgliedern, insbesondere mit dem
Schweden Branting, wurden alle Klagen gegen die Regierungskommission
genau entwickelt.
Das Sekretariat vertrat in diesem Konflikt den Standpunkt, daß Rault sich
den französischen Tendenzen habe widersetzen müssen und sich dazu des
Widerstandes Waughs hätte bedienen sollen. Außerdem protestierte es aufs
schärfste gegen die Verordnung zur Einschränkung der Pressefreiheit. Es
teilte seine Kritik und Empörung sofort Rault und den französischen Mit¬
gliedern der Völkerbundsverwaltung mit. Uber diese Mitglieder sollte Rault
zur „Raison“ gebracht werden192. Waugh schrieb eine Reihe äußerst kri¬
tischer Briefe193, in denen er vor allem die Tatsache herausarbeitete, daß
Rault eine „docile majority“ in der Regierungskommission wünsche und
daß er in der Frage der Herabsetzung der französischen Kohlesteuer nach
französischen Weisungen und ohne Befragung der Regierungskommission
gehandelt habe.
Die Weltöffentlichkeit wurde besonders aufmerksam durch Bücher und
Artikel, die in England, Schweden, der Schweiz und Amerika erschienen194.
190 Vgl. dazu Aufstellung der Denkschriften der pol. Parteien im Anhang, Anlage 6, S. 347.
191 S.D.N. Dokumente: C. 267. M. 146. 1923. I. (15. 3. 1923); C. 266. M. 145. 1923. I.
(24.3.1923); C. 434. M. 190. 1923. I. (14. 5. 1923); C. 395. M. 185. 1923. I. (2.6.1923).
192 Uber diese Vorgänge im Sekretariat: S.D.N. Ardiives des Sect. du Secretariat, Sect.
Pol. Sarre, Nr. 56, Com. d. Gouv.: Hier Aufzeichnungen über Gespräche mit den
Franzosen in der Völkerbundsverwaltung und Entwürfe von Briefen an Rault. Bes.
Aufzeichnung Gilchrists über ein Gespräch v. 19. 3. 1923, in der es heißt, daß alles
versucht werde „to make Rault see reason“.
193 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Waugh, bes. Brief v. 12. 2. 1923 an Colban.
194 2. B.: Osborne, a. a. O., arbeitete besonders die wirtschaftlichen Interessen Frank¬
reichs an der Saar heraus und die Regierungsweise der Kommission zugunsten der
französischen Interessen; L. Schücking, The Unfortunate Saar District, New
Statesman, Bd. XIX (1922). und The League of Nations and the Saar, ebenda, Bd.
XXI (1923). Die beiden Artikel des Breslauer Juristen, die in England erschienen,
waren sehr aggressiv, der 2. Artikel spricht von „this regime of Tsarism“, S. 101.
Die Kritik, die Männer wie F. S, Nitti, L’Europa senza pace, 1921, und J. M.
Keynes, A Revision of the Treaty, London 1922, auch an der Saarregelung von
Versailles übten, wurde jetzt aufgegriffen. Für die kritische Haltung der Presse seien
nur genannt: „The Manchester Guardian“, der am 14. und 17. 5. 1923 größere
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