tionen aus Landesratsmitgliedern entsandt. Sie wurden von bestimmten
Ratsmitgliedern und Völkerbundsvertretern regelmäßig empfangen. Auch
das Sekretariat in Genf hörte sie an, obwohl es diese Delegationen wegen
des Aufsehens, das sie erregten, und wegen ihres Einflusses auf die inter¬
nationale Presse mit einem gewissen Unbehagen betrachtete157. Außerdem
war das Sekretariat der Auffassung, daß die Forderungen der saarländi¬
schen Parteien zum größten Teil nicht mit dem Friedensvertrag zu verein¬
baren seien158. Die Politik der saarländischen Parteien blieb also weiter auf
große Demonstrationen in Genf angelegt und war damit einer langsamen
und stillschweigenden Umgestaltung der Verhältnisse nicht günstig.
4. Der Höhepunkt des Konflikts zwischen Regierung und Bevölkerung
und die Überprüfung des Saarsystems durch den Rat des Völkerbundes
Gegen Ende des Jahres 1922 kam es zunächst hinter den Kulissen und
schließlich 1923 vor der Weltöffentlichkeit zu einem entscheidenden Kon¬
flikt in der Saarfrage. Der Zwang für Rault, unter dem Einfluß von Genf
seine Politik stärker nach den Wünschen des Sekretariats einrichten zu müs¬
sen, führte ihn rasch in eine schwierige Situation. Da sich der französische
Standpunkt gegenüber Deutschland immer mehr verhärtete und Frankreich
nicht gewillt war, den neuen Tendenzen in der Saarpolitik nachzugeben,
entstand für Rault allmählich klar die Alternative, Präsident einer neutra¬
len Kommission oder Verfechter der französischen Saarpolitik zu sein.
Dariac, der Präsident der Finanzkommission des französischen Abgeord¬
netenhauses, nahm in seinem berüchtigten Geheimbericht des Jahres 1922159
auch zu den Saarverhältnissen im Zusammenhang mit Reparations-, Rhein¬
land- und Ruhrfrage Stellung. Der Bericht enthielt die schärfsten Angriffe
auf die Politik der Regierungskommission im Jahre 1922. Die Aufrecht¬
erhaltung der militärischen Besatzung des Saargebietes wurde gefordert160,
und harte Kritik wurde an der Errichtung des Landesrates geübt, weil die
Wahlen für das gesamte Gebiet einen plebiszitären Charakter annehmen
könnten und damit werde der Termin der Meinungsbefragung der Saar¬
157 S.D.N. Archives des Sections du Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57, Conseil Con-
sultatif, Vermerk Gilchrist für Colban v. 12. 5. 1922; Nr. 57, Akt Colban, Gilchrist
an Colban am 26. 2. 1922 über negative Pressereaktionen in der Schweiz und Däne¬
mark zur Saarfrage.
158 Ebenda Nr. 57, Akt Colban; Bericht Colbans für Gilchrist über den Empfang eines
saarländischen Journalisten, dem er folgendes darlegte: „. . . I said that the complaints
to which he drew my attention were in the most cases, if not in all, directly against
the stipulations of the Treaty Peace, and that the League of Nations had really
already done quite excellent work in order to administer the S.B. in conformity
with the Treaty, but at the same time so as to make the conditions of the inhabi¬
tants as advantageous as compatible with the Treaty.“
159 The Dariac Report, Ruhr, Rheinland and Saar, The full text of the secret report
on the Ruhr, the Rhineland and the Saar, presented in 1922 to the French Govern¬
ment. Reproduced from the „Manchester Guardian“ of November 2nd 1922 and
march 5(h 1923. Der Geheimbericht war also nach wenigen Monaten der Weltöffent¬
lichkeit bekannt.
160 Ebenda, S. 20 f.
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