Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

genommen wissen, auch Italien war gegen den Dänen. In den offiziellen 
Ratssitzungen offenbarte sich dieser Wandel nicht. Dr. Héctor, gegen den 
sich die politischen Parteien in einer Denkschrift gewandt hatten, wurde 
wiederernannt. Die Franzosen erreichten auch die erneute Bestätigung 
Moltke-Huitfeldts. Die Verordnung über den Landesrat wurde vom Rat 
ohne Beanstandungen gebilligt und der liberale Geist der Regierungskom¬ 
mission in dieser Bemühung um die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung 
anerkannt. Allen Regierungsmitgliedern wurde in Aussicht gestellt, daß ihre 
Bestätigungen jährlich bis 1925 zu erwarten seien150. Die beiden Petitionen 
der saarländischen Parteien vom 18. März 1922151 und vom 6. April 1922152 
wurden vom Rat nicht aufgegriffen. 
Die Saarprobleme waren durch die Delegation vom September 1921 in Fluß 
geraten, die Vorstellungen der Beteiligten über die Weiterentwicklung unter¬ 
schieden sich aber erheblich. Das Sekretariat hoffte auf eine allgemeine 
Beruhigung und eine sachliche und bessere Zusammenarbeit zwischen Re¬ 
gierung und Bevölkerung und war überdies bereit, einen langsamen Ausbau 
der Rechte der Saarbevölkerung zu fördern und einen gewissen Druck auf 
Rault zur Besserung der Verhältnisse auszuüben. Z. B. setzte sich das 
Sekretariat im August und September 1922 energisch bei der Regierungs¬ 
kommission für eine Verminderung der französischen Truppen ein, sprach 
sich gegen jede Erweiterung des Umlaufs des französischen Geldes aus und 
verlangte von der Kommission, daß man sich in Antworten auf deutsche 
Proteste nidit auf den § 33 berufe153. Rault dagegen ließ bei der Eröffnung 
des Landesrates eine Erklärung154 verlesen, in der bei der Betonung der 
Hoffnung auf gute Zusammenarbeit erneut die gesetzlichen Grenzen für 
die Kompetenzen des Landesrates aufgewiesen wurden. Er blieb also in der 
Tradition seines Denkens, das nicht geeignet war, die Situation psychologisch 
zu entschärfen. Die Saarländer selbst waren mit dem Erreichten in keiner 
Weise zufrieden. Sie versuchten deshalb, den Landesrat zunächst einmal im 
Sinne der Demonstration für ihre Forderungen zu benützen. Durch ihr hart¬ 
näckiges Drängen155 erreichten sie bei der Eröffnung des Landesrates die 
Einwilligung Raults zur Abgabe programmatischer Erklärungen156, die nach 
dem Gesetz nidit möglich waren. In diesen Erklärungen legten alle Parteien 
ein Treuebekenntnis zu Deutschland ab und erhoben Forderungen zur Er¬ 
weiterung der Rechte des Landesrates. Die Proteste und Petitionen der 
Bevölkerung sollten nun von Landesratsvertretern unterzeichnet werden 
und damit diesen das moralische Gewicht der gewählten Volksvertretung 
verleihen. Zu den Rats- und Völkerbundstagungen wurden hinfort Delegᬠ
is0 S.D.N. J.O. 11,5 (1922), S. 417: Ratssitzung v. Januar 1922 u. III,6 S. 501. 
151 S.D.N. Dokument C. 191. M. 105. 1922. I.; J.O. III,5 (1922), S. 457 f. 
152 S.D.N. Dokument C. 236. M. 132. 1922. I. 
153 S.D.N. Archives des Sections du Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56, Dossier General I, 
hier vertrauliche Protokolle über Verhandlungen Gilchrists und Colbans mit Morize 
am 17. 8. 1922 und am 7. 9. 1922 in Genf und am 10. 9. 1922 zwischen Colban und 
Rault. 
154 Landesrat des Saargebietes, Sten. Ber. v. 19. 6. 1922, S. 1 ff. 
155 Ebenda S. 8—30. 
156 Ebenda S. 30—49; vgl. Anlage 5 im Anhang S. 338 ff. 
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