Saargebiet zurückführt vorzüglich auf eine illegale Opposition führender Volks¬
kreise. Wir erklären, daß der Gegensatz allein verursacht wurde durch das auto-
kratisdie Vorgehen der Regierung.“
Die Beschwerdepunkte, die des weiteren vorgebracht wurden, waren ins¬
besondere die Anwesenheit des französischen Militärs im Saargebiet, das
zögernde Vorgehen in der Errichtung einer saarländischen Gendarmerie, die
Wohnungsnot, die sich durch die Anwesenheit der französischen Truppen
verschärfe, die Ausfertigung von Gesetzen ohne Befragung der Bevölke¬
rung, Besetzung der bedeutenden Beamtenstellen durch Franzosen, Ände¬
rung des gesetzlichen Währungssystems, die profranzösische Zusammen¬
setzung der Regierungskommission und die Verhinderung der Aufstellung
von Listen der Abstimmungsberechtigten für das Jahr 1935. Diese Be¬
schwerdepunkte wurden alle damit begründet, daß die Regierungskommis¬
sion ihre Pflicht nicht im rechten Geiste wahrgenommen habe, und richteten
sich nicht gegen den Versailler Vertrag, ja sie forderten geradezu seine Ein¬
haltung. Mit diesen Klagen gegen die Politik der Regierungskommission war
in der Denkschrift noch eine weitere These verbunden: Ein Völkerbunds¬
land darf nicht autokratisch regiert werden. Deshalb muß statt der Kreis¬
gremien ein saarländisches Parlament geschaffen werden, dessen Gutachten
in der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Außerdem wurde eine andere
Bitte ausgesprochen, in der es ebenfalls um eine Erweiterung der Rechte der
Saarländer ging. Das saarländische Mitglied der Regierungskommission
solle vom Völkerbundsrat auf Vorschlag der Saarbevölkerung ernannt wer¬
den. Die gemeinsame Linie zu politischer Aktivität und zu einer Hoffnung
auf die zukünftige Entwicklung war in der Formel gefunden: Völkerbunds¬
herrschaft bedeutet neben dem Schutz vor ungerechtfertigten französischen
Übergriffen Erweiterung der demokratischen Rechte der Bevölkerung.
Die Eigenart der hiermit vor der Weltöffentlichkeit reklamierten Rechte
führten für eine gewisse Zeit zu einer Gewichtsverschiebung in den politi¬
schen Kräften im Spannungsfeld der Saar. Die Saarfrage wurde aus einer
Frage der Verwaltung durch die Regierungskommission unter der Aufsicht
des Völkerbundes langsam zu einem Problem, mit dem sich die Weltpresse
befaßte und zu dessen Lösung sich die Vertreter einiger Staaten des Rates
des Völkerbundes einschalteten. So geriet sie in den Problemkreis der großen
Politik. Zunächst wurde auf Grund der sich wandelnden Situation die Zu¬
sammenarbeit zwischen Völkerbundssekretariat und Regierungskommission
intensiviert. Man mußte den neuen, durch die politischen Parteien geschaffe¬
nen Verhältnissen Rechnung tragen. Das Sekretariat war darüber orientiert,
daß die Schritte der Parteien auf England einen großen Eindruck gemacht
hatten. In einem Privatbrief an Gilchrist hatte Lord Robert Cecil ge¬
schrieben:
„Their attitude (der Saarverwaltung) appears to be that of despotic ruless who
of their grace and favour occasionally consult the inhabitants. That seems to me
an impossible theory of government for Western European at the present time.“ 140
140 S.D.N. Archives des Sections du Secretariat, Section Pol. Sarre, Nr. 57, Aktenstück
Colban (personnel), Abschrift des Privatbriefes Lord Cecils vom 30. 1. 1922 an Gil¬
christ.
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