Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

Saargebiet zurückführt vorzüglich auf eine illegale Opposition führender Volks¬ 
kreise. Wir erklären, daß der Gegensatz allein verursacht wurde durch das auto- 
kratisdie Vorgehen der Regierung.“ 
Die Beschwerdepunkte, die des weiteren vorgebracht wurden, waren ins¬ 
besondere die Anwesenheit des französischen Militärs im Saargebiet, das 
zögernde Vorgehen in der Errichtung einer saarländischen Gendarmerie, die 
Wohnungsnot, die sich durch die Anwesenheit der französischen Truppen 
verschärfe, die Ausfertigung von Gesetzen ohne Befragung der Bevölke¬ 
rung, Besetzung der bedeutenden Beamtenstellen durch Franzosen, Ände¬ 
rung des gesetzlichen Währungssystems, die profranzösische Zusammen¬ 
setzung der Regierungskommission und die Verhinderung der Aufstellung 
von Listen der Abstimmungsberechtigten für das Jahr 1935. Diese Be¬ 
schwerdepunkte wurden alle damit begründet, daß die Regierungskommis¬ 
sion ihre Pflicht nicht im rechten Geiste wahrgenommen habe, und richteten 
sich nicht gegen den Versailler Vertrag, ja sie forderten geradezu seine Ein¬ 
haltung. Mit diesen Klagen gegen die Politik der Regierungskommission war 
in der Denkschrift noch eine weitere These verbunden: Ein Völkerbunds¬ 
land darf nicht autokratisch regiert werden. Deshalb muß statt der Kreis¬ 
gremien ein saarländisches Parlament geschaffen werden, dessen Gutachten 
in der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Außerdem wurde eine andere 
Bitte ausgesprochen, in der es ebenfalls um eine Erweiterung der Rechte der 
Saarländer ging. Das saarländische Mitglied der Regierungskommission 
solle vom Völkerbundsrat auf Vorschlag der Saarbevölkerung ernannt wer¬ 
den. Die gemeinsame Linie zu politischer Aktivität und zu einer Hoffnung 
auf die zukünftige Entwicklung war in der Formel gefunden: Völkerbunds¬ 
herrschaft bedeutet neben dem Schutz vor ungerechtfertigten französischen 
Übergriffen Erweiterung der demokratischen Rechte der Bevölkerung. 
Die Eigenart der hiermit vor der Weltöffentlichkeit reklamierten Rechte 
führten für eine gewisse Zeit zu einer Gewichtsverschiebung in den politi¬ 
schen Kräften im Spannungsfeld der Saar. Die Saarfrage wurde aus einer 
Frage der Verwaltung durch die Regierungskommission unter der Aufsicht 
des Völkerbundes langsam zu einem Problem, mit dem sich die Weltpresse 
befaßte und zu dessen Lösung sich die Vertreter einiger Staaten des Rates 
des Völkerbundes einschalteten. So geriet sie in den Problemkreis der großen 
Politik. Zunächst wurde auf Grund der sich wandelnden Situation die Zu¬ 
sammenarbeit zwischen Völkerbundssekretariat und Regierungskommission 
intensiviert. Man mußte den neuen, durch die politischen Parteien geschaffe¬ 
nen Verhältnissen Rechnung tragen. Das Sekretariat war darüber orientiert, 
daß die Schritte der Parteien auf England einen großen Eindruck gemacht 
hatten. In einem Privatbrief an Gilchrist hatte Lord Robert Cecil ge¬ 
schrieben: 
„Their attitude (der Saarverwaltung) appears to be that of despotic ruless who 
of their grace and favour occasionally consult the inhabitants. That seems to me 
an impossible theory of government for Western European at the present time.“ 140 
140 S.D.N. Archives des Sections du Secretariat, Section Pol. Sarre, Nr. 57, Aktenstück 
Colban (personnel), Abschrift des Privatbriefes Lord Cecils vom 30. 1. 1922 an Gil¬ 
christ. 
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