richtige Einschätzung der Haltung der Saarbevölkerung, die eine solche
Identifizierung als unmöglich ansah und von einer Regierung im Auftrag
des Völkerbundes primär Schutz gegen eine französische Übermacht er¬
wartete.
In dieser Frühphase entwickelte Rault den Regierungsstil, der ihm persön¬
lich lag. Er verhandelte selbständig mit den französischen Ministerien und
mit den französischen Stellen an der Saar, ging mit Fleiß und Energie an
seine Verwaltungsaufgabe, hielt im Generalsekretariat alle Fäden in der
Hand und duldete kaum Widerspruch. Seine Berichte nach Genf75 zeigten
ihn voll Schwung, Selbstbewußtsein und Eigensinn im Beharren auf seinen
Grundthesen.
Das Verhältnis der Regierungskommission zur Bevölkerung
Die hier notwendigerweise nur kurz skizzierte politische Linie der Tätigkeit
der Regierungskommission unter der Führung Raults stellte vor allem die
Akzente jener umfassenden und großen Arbeit heraus, die von der Regie¬
rungskommission zu bewältigen war. Die Protokolle ihrer wöchentlichen
Sitzungen erweisen, welch große Nöte es zu beseitigen und welche Aufgaben
es zu lösen galt: Die Lebensmittelversorgung mußte gesichert, die Frage der
Renten und Sozialversicherungen geklärt, ein geregeltes Steuer- und Finanz¬
system, das den neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung trug, auf¬
gebaut, Maßnahmen zur Behebung der Wohnungsnot und zur Bekämpfung
der Tuberkulose mußten ergriffen, die Konsequenzen der doppelten Wäh¬
rung berücksichtigt werden. Aus den Protokollen geht auch hervor, daß die
Regierungskommission ernsthaft an diese Probleme herantrat und bemüht
war, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse möglichst vorteilhaft zu
gestalten, also zum Wohle der Bevölkerung zu regieren76. Des weiteren
erhellen die Niederschriften der Sitzungen der Regierungskommission, daß
in Hinsicht auf diese Fragen dem Regierungsmitglied Hector eine positivere
Beurteilung zukommt, als das im Saargebiet üblich war. Er trug sehr oft die
saarländischen Gesichtspunkte und Wünsche vor und beurteilte die Situation
anders als Rault.
Im Verhältnis zur Bevölkerung hoffte nun Rault, daß eine gute Verwal¬
tungstätigkeit das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen könne und daß sich
auf dieser Linie eine Zusammenarbeit herausbilden werde. Seine Proklama¬
tion beim Amtsantritt der Regierungskommission enthielt den Satz, daß
75 Die Berichte nach Genf wurden am Anfang von Rault allein ausgearbeitet. Später
wurden die Teile, die von den einzelnen Ressorts geliefert worden waren, von ihm
allein zusammengestellt und mit Schlußfolgerungen versehen. Seit der Ratssitzung
im Juli 1923 wurden sie vor der Absendung den Mitgliedern der Reg.-Kom. vorgelegt
und von diesen gebilligt. S.D.N. J.O. IV,8 (1923), S. 917, dazu auch S.D.N. Ardiives
des Sect. du Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57, Aktenstück Waugh, Originalbrief
Waughs vom 10. 1. 1921 an Gilchrist.
76 S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 100—106: Der erste Bericht Raults nach Genf betonte die
Notwendigkeit umfassender Maßnahmen zum Wohl der Bevölkerung. Auch alle
folgenden Berichte enthalten Kapitel, in denen die Maßnahmen zum Wohle der
Bevölkerung besonders zusammengefaßt sind.
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