Anlage 5
Programmatische Erklärungen der Landesratsfraktionen
in der ersten Sitzung des Landesrates des Saargebietes am 19. Juli 1922
Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 7. 1922, S. 30—49
Zentrumspartei (Levacher)
„Die Zentrumsfraktion ist nach den Grundsätzen und der Vergangenheit
ihrer Partei eine Fraktion der positiven Mitarbeit. Sie erklärt daher ihre
aufrichtige Bereitwilligkeit, mit der Regierungskommission zum Wohle der
Saarbevölkerung zusammenzuarbeiten, vorausgesetzt, daß die Regierungs¬
kommission die ihr vom Völkerbund vorgezeichnete Aufgabe:
,weder eine andere Pflicht, noch ein anderes Interesse
als die Wohlfahrt des Saargebietes zu kennen/
in streng loyaler Weise erfüllt.
Die soeben verlesene Botschaft hat uns trotz ihrer verbindlichen Form ent¬
täuscht. Das einzige Positive ist das nochmalige scharfe Hervorheben der
Tatsache, daß der Tätigkeit des Landesrates äußerst enge Grenzen gezogen
sind, die es ihm unmöglich machen, zum Wohle der Saarbevölkerung zu
arbeiten. Die Fraktion erwartet von der Regierung, daß sie sich für eine
baldige Abänderung der Verordnung über die Bildung des Landesrates vom
24. März ds. Js. beim Völkerbundsrat einsetzt, da diese Verordnung unsere
politischen Rechte stärker einschränkt, als es nach dem Vertrag von Ver¬
sailles zulässig ist.
Wir verlangen vor allem das Recht der Interpellation, der Beschwerde, der
Initiativanträge und die Unverletzlichkeit der Abgeordneten. Wir verlangen
weiter, daß die Tagesordnung nur mit unserem Einverständnis festgelegt
wird.
Gegen die Ernennung des Präsidenten des Landesrates durch die Regierungs¬
kommission protestieren wir entschieden. Wir erkennen darin einen Verstoß
gegen die elementarsten Rechte der Volksvertretung. Mag der Ernannte
unserer Partei auch angehören, so erblicken wir in ihm nur den von der
Regierungskommission ernannten Beamten und behalten uns ihm gegenüber
vollständig freie Hand vor. Den schärfsten Einspruch aber müssen wir
erheben gegen den Artikel 4 der Regierungsverordnung, weil er die nicht im
Saargebiet geborenen abstimmungsberechtigten Saardeutschen von der
Wählbarkeit ausschließt. Der Vertrag von Versailles macht mit einer ein¬
zigen, das saarländische Mitglied der Regierungskommission betreffenden
Ausnahme, in rechtlicher Beziehung gar keinen Unterschied zwischen hier
geborenen und nicht hier geborenen Bewohnern des Saargebietes. Bei dieser
Gelegenheit erklären wir feierlich, daß wir vollständig auf dem Boden der
bisherigen Politik unserer Partei stehen, mögen ihre Führer dem hiesigen
Gebiet entstammen oder nicht.
Wir billigen insbesondere die von unserer Partei in Gemeinschaft mit den
anderen deutschen Parteien unternommenen Schritte beim Völkerbunds¬
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