Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

der sozialen durch sein Programm und den Einfluß der katholischen Arbei¬ 
ter- und christlichen Gewerkvereine. Daß sich die Nationalliberalen im 
Wahlkreis Saarbrücken trotz der Aktivität des Zentrums und der Tatsache, 
daß auch dieser Wahlkreis überwiegend katholisch und gleichzeitig ausge¬ 
sprochen industriell war, behaupten konnten, läßt sich nicht allein aus der 
Einflußnahme der Arbeitgeber auf die Arbeiter erklären. Das preußisch 
orientierte Nationalbewußtsein der einheimischen Saarbrücker Bürgerschaft 
und ihr geistiger Einfluß, der jahrzehntelang das politische Leben im Kern 
des Saargebietes entscheidend prägte, wie der Umstand, daß National¬ 
liberale und Freikonservative zudem bedeutende, an der Saar beheimatete 
Persönlichkeiten als Wahlkandidaten zu stellen vermochten, sind weitere 
Gründe für den Erfolg. Dem Zentrum dagegen fehlten überragende Poli¬ 
tiker aus den Saarkreisen; seine Kandidaten waren Vertreter des rheinischen 
Katholizismus. Nur in der Stadt St. Wendel gab es eine kleine Gruppe ge¬ 
bildeter Bürger, die als katholische Führungsschicht eine Rolle spielte. In den 
ländlichen Gebieten der rein katholischen Kreise wuchsen politisch selbst¬ 
bewußte katholische Schichten erst langsam heran. Die geistig politische 
Orientierung des Zentrums auf die rheinische und trierische Tradition unter¬ 
schied es von dem preußisch orientierten Nationalliberalismus und ver¬ 
tiefte den Gegensatz zwischen diesen beiden politischen Lagern an der Saar. 
Bevor der Versailler Vertrag durch seine Bestimmungen die Voraussetzungen 
für das politische Leben an der Saar entscheidend veränderte, hatten Welt¬ 
krieg und Deutsche Revolution einen bedeutsamen Umwandlungsprozeß 
eingeleitet. Die Arbeiterschaft war im Kriege über den engen Erfahrungs¬ 
kreis der Heimat hinausgewachsen, innere Dispositionen zu größerer politi¬ 
scher Selbständigkeit und Aktivität wie auch eine Bereitschaft zur Aufgabe 
traditioneller Überzeugungen waren entstanden19. Der Umschwung zeigte 
sich im November 1918, als im Anschluß an die revolutionären Ereignisse in 
Deutschland sich auch in Saarbrücken und vielen größeren Orten des Saar¬ 
landes Arbeiter- und Soldatenräte bildeten20. Diese bedeuteten keine revo¬ 
lutionäre Usurpation der Macht durch die Arbeiterschaft, sondern kündigten 
den Willen der saarländischen Bevölkerung zu demokratischer Selbstbestim¬ 
mung an und brachten die endgültige Auflösung des patriarchalischen Sy¬ 
stems. Das Bürgertum wurde von dieser Bewegung vollständig überrannt 
und verlor seine einflußreiche politische Position; Initiatoren der Arbeiter¬ 
und Soldatenräte waren meist Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei 
oder des „Alten Verbandes“, der freigewerkschaftlichen Organisation der 
saarländischen Bergarbeiter21. In Saarbrücken wurde z. B. der Vorsitzende 
der Sozialdemokratischen Partei, der Redakteur Valentin Schäfer, Vor¬ 
sitzender des Arbeiter- und Soldatenrates22; in Neunkirchen gehörte ihm 
19 So auch Straus, a. a. O., S. 121. 
20 K i e f e r, a. a. O., S. 43. 
21 Ebenda, S. 43; N. Schmidt (Herausgeber), Chronik der Gemeinde Heiligenwaid, 
Neunkirchen 1954, S. 205. 
22 Kiefer, a. a. O., S. 46; S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43. 
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