der sozialen durch sein Programm und den Einfluß der katholischen Arbei¬
ter- und christlichen Gewerkvereine. Daß sich die Nationalliberalen im
Wahlkreis Saarbrücken trotz der Aktivität des Zentrums und der Tatsache,
daß auch dieser Wahlkreis überwiegend katholisch und gleichzeitig ausge¬
sprochen industriell war, behaupten konnten, läßt sich nicht allein aus der
Einflußnahme der Arbeitgeber auf die Arbeiter erklären. Das preußisch
orientierte Nationalbewußtsein der einheimischen Saarbrücker Bürgerschaft
und ihr geistiger Einfluß, der jahrzehntelang das politische Leben im Kern
des Saargebietes entscheidend prägte, wie der Umstand, daß National¬
liberale und Freikonservative zudem bedeutende, an der Saar beheimatete
Persönlichkeiten als Wahlkandidaten zu stellen vermochten, sind weitere
Gründe für den Erfolg. Dem Zentrum dagegen fehlten überragende Poli¬
tiker aus den Saarkreisen; seine Kandidaten waren Vertreter des rheinischen
Katholizismus. Nur in der Stadt St. Wendel gab es eine kleine Gruppe ge¬
bildeter Bürger, die als katholische Führungsschicht eine Rolle spielte. In den
ländlichen Gebieten der rein katholischen Kreise wuchsen politisch selbst¬
bewußte katholische Schichten erst langsam heran. Die geistig politische
Orientierung des Zentrums auf die rheinische und trierische Tradition unter¬
schied es von dem preußisch orientierten Nationalliberalismus und ver¬
tiefte den Gegensatz zwischen diesen beiden politischen Lagern an der Saar.
Bevor der Versailler Vertrag durch seine Bestimmungen die Voraussetzungen
für das politische Leben an der Saar entscheidend veränderte, hatten Welt¬
krieg und Deutsche Revolution einen bedeutsamen Umwandlungsprozeß
eingeleitet. Die Arbeiterschaft war im Kriege über den engen Erfahrungs¬
kreis der Heimat hinausgewachsen, innere Dispositionen zu größerer politi¬
scher Selbständigkeit und Aktivität wie auch eine Bereitschaft zur Aufgabe
traditioneller Überzeugungen waren entstanden19. Der Umschwung zeigte
sich im November 1918, als im Anschluß an die revolutionären Ereignisse in
Deutschland sich auch in Saarbrücken und vielen größeren Orten des Saar¬
landes Arbeiter- und Soldatenräte bildeten20. Diese bedeuteten keine revo¬
lutionäre Usurpation der Macht durch die Arbeiterschaft, sondern kündigten
den Willen der saarländischen Bevölkerung zu demokratischer Selbstbestim¬
mung an und brachten die endgültige Auflösung des patriarchalischen Sy¬
stems. Das Bürgertum wurde von dieser Bewegung vollständig überrannt
und verlor seine einflußreiche politische Position; Initiatoren der Arbeiter¬
und Soldatenräte waren meist Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei
oder des „Alten Verbandes“, der freigewerkschaftlichen Organisation der
saarländischen Bergarbeiter21. In Saarbrücken wurde z. B. der Vorsitzende
der Sozialdemokratischen Partei, der Redakteur Valentin Schäfer, Vor¬
sitzender des Arbeiter- und Soldatenrates22; in Neunkirchen gehörte ihm
19 So auch Straus, a. a. O., S. 121.
20 K i e f e r, a. a. O., S. 43.
21 Ebenda, S. 43; N. Schmidt (Herausgeber), Chronik der Gemeinde Heiligenwaid,
Neunkirchen 1954, S. 205.
22 Kiefer, a. a. O., S. 46; S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43.
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