Zweites Kapitel
Die Auseinandersetzung der Parteien mit der Frage
der Rückgliederung an das nationalsozialistische Deutschland
1. Die NSDAP des Saargebietes vor 1933
Die Geschichte der NSDAP im Saargebiet war vor 1933 für die allgemeine
Parteientwicklung bedeutungslos. Die ersten Versuche der nationalsozialisti¬
schen Bewegung, an der Saar Fuß zu fassen, reichen in die Jahre 1923 und
1925 zurück. Rault berichtete während des Streiks von 1923 in Genf über
nationalistische, von Bayern beeinflußte Gruppen h Es scheint sich aber nur
um Einzelerscheinungen gehandelt zu haben, die von Rault aufgebauscht
wurden, damit er seine Notverordnung rechtfertigen und eine Handhabe
gegen unliebsame Personen konstruieren konnte1 2. Immerhin berichtet eine
nationalsozialistische Broschüre über die Anfänge der NSDAP in Überherrn,
einem Ort an der französischen Grenze im Kreis Saarlouis, daß die völkische
Freiheitsbewegung 1923 in den Kreisen der Kriegsbeschädigten und einem
Kriegerdenkmalausschuß Boden gewonnen habe3. Systematisch begannen
1925 einige Nationalsozialisten an der Saar zu arbeiten, als die Rheinische
Jahrtausendfeier zu einer enthusiastischen Steigerung des Nationalgefühls ge¬
führt hatte. Sie versuchten über Kriegervereine und Tarnorganisationen Ein¬
fluß zu gewinnen. So wurden in Überherrn 1925 ein Segelflug-Sportverein
und 1926 ein Volksbildungsverein gegründet, jeweils auf Initiative und
unter Leitung eines Mannes, der seit 1923 mit der Bewegung Adolf Hitlers
in Verbindung stand und Mitglied der NSDAP in Zweibrücken war4. Die
Tätigkeit der Nationalsozialisten kündigte sich auch dadurch an, daß in
Saarlouis und in Merzig Häuser mit nationalsozialistischen Parolen be¬
schmiert wurden5. Die Gründung einer NSDAP im Saargebiet wurde seit
1926 betrieben. Ein Schreiben an die Hauptgeschäftsstelle der NSDAP in
München vom 7. August 1926 spricht von einer Saarbrücker Ortsgruppe mit
58 Mitgliedern6. Die Parteileitung in München erkannte den von Saar¬
brücken gemeldeten Parteivorstand nicht an, da er aus Leuten bestehe, die
noch nicht Mitglieder der NSDAP seien7. Ebenso beschied die oberste Poli¬
1 S.D.N. J.O. IV, 7 (1923) S. 741 (14. Period. Ber. d. Reg. Kom.) u. J.O. IV, 6 S. 595 f.
(Ausführungen Raults auf der Ratstagung im April 1923).
2 Vgl. dazu oben S. 161.
3E. Speicher u. H. P. Buchleitner, Uberherrn, die Wiege der NSDAP, im Kreise
Saarlouis, o. O. 1937, S. 24 f.
4 Ebenda, S. 26 ff.
5 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 18.
6 BA Koblenz, Sammlung Schumacher, 310: Schreiben J. Jung v. 7. 8. 1926 an die
NSDAP-Geschäftsstelle München.
7 Ebenda, Antwort der Geschäftsstelle München v. 19. 8. 1926.
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