der Erregung der Arbeiterschichten erklären sich auch eine Reihe von Ein¬
gaben saarländischer Gemeinden, die ähnlich Stellung nahmen169. Außerdem
kam es im Reichstag zu einer sozialdemokratischen „Interpellation von
Dr. Breitscheid und Genossen“ wegen der Saarfrage, insbesondere der Saar¬
gruben170. Die Deutsch-Saarländische Volkspartei, die Zentrumspartei und
die Deutschnationale Volkspartei versuchten dagegen nochmals einen gewis¬
sen Druck über Genf auszuüben. Eine fünfköpfige Delegation, der Röchling,
Levacher und Kiefer angehörten, suchte am 16. Januar 1930 nicht nur den
Staatssekretär von Schubert171 in Genf auf, sondern auch Rosting vom
Völkerbundssekretariat, um ihm den Standpunkt der Parteien zu den Saar¬
verhandlungen darzulegen. Sie Umrissen dieselben Bedingungen, die im
Landesrat am 4. Dezember 1929 genannt worden waren. Rosting bemerkte
in seinem Bericht über diese Unterredung:
„Ils m’ont prié de faire savoir au Secrétaire Général que bien que les partis poli¬
tiques de la Sarre n’aimaient pas la S.D.N. ils préféraient mille fois rester sous le
régime actuel jusqu’en 1935 que d’accepter un compromis sur ces trois points.“ 172
In der Grubenfrage erklärten sie sogar, wenn die Franzosen nicht bereit
seien, den deutschen Standpunkt anzuerkennen, würden alle saarländischen
Parteien die deutsche Reichsregierung um Abbruch der Verhandlungen bitten.
In den Wirtschaftsfragen dagegen könne man verhandeln, und auch in den
Warndtpachtverträgen lasse sich ein Arrangement treffen, wenn die Pacht¬
verträge auch keine 99 Jahre dauern dürften. Der Sinn dieser Vorsprache
erhellt erst aus zwei weiteren Äußerungen der Saarvertreter. Sie betonten,
daß sie in der Hoffnung auf eine endgültige Regelung des Saarproblems eine
ganze Serie von Fragen aufgeschoben hätten, die sie bei einem Scheitern der
Verhandlungen von neuem vor den Völkerbund bringen würden. Außerdem
versuchte Röchling, das gesamte Saarproblem wieder unter politische Aspekte
zu bringen:
„Surtout M. Röchling a beaucoup insisté sur l’aspect politique de toute la question
et il a déclaré que si les Français acceptaient qu’un plébiscite ait lieu en 1935, ils
courraient un grand risque pour l’Alsace et la Lorraine, étant donné que le plé¬
biscite dans la Sarre ne manquerait pas d’avoir des répercussions dans ces provinces
et réveiller de nouveau les passions politiques pour l’autonomie.“ 173
Dieser Besuch hatte offensichtlich den Sinn, im Völkerbundsekretariat Stim¬
mung für eine sofortige Saarregelung zu machen, da sonst eine für die Ver¬
ständigungspolitik und für Frankreich unliebsame Entwicklung zu erwarten
sei. Man hoffte wohl zugleich auf einen gewissen Einfluß der französischen
Mitglieder des Sekretariats auf Frankreich. Die Parteien versuchten also in
der zweiten Phase der Verhandlungen durch öffentliche Bekundungen ihres
169 Ebenda, Bd. 7, St. 32, Bd. 8, II SG 373.
170 Reichstag IV. Wahlp. 1928, Nr. 1638 in A. A., a. a. O., Bd. 8.
171 A. A., a. a. O., Bd. 7, St. 38, II SG 238. .
172 S.D.N. Archives des Sect. d. Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56, Dossier General II.
Die drei Punkte waren: 1. Rückgliederung des ganzen Gebiets an Deutschland,
2. Rückgabe der Gruben an den preußischen und bayerischen Staat, 3. Rückgabe der
drei Frankreich gehörigen Eisenbahnlinien an das Deutsche Reich. Es handelte sich
um die kleinen Strecken Waldwies—Merzig, Niedaltdorf—Dillingen und Hargarten
Völklingen, von denen die beiden letzten für die Erzversorgung von Dillingen und
Völklingen von großer Bedeutung sind.
173 Ebenda.
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