Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

Aktivität bürgerlicher Schichten an der Saar geweckt und im Laufe der 
Napoleonischen Epoche zum Willen nach nationaler Selbstbestimmung ge¬ 
steigert hatte. Selbstverständlich konnte man zu der damaligen Zeit noch 
nicht von einer Willenskundgebung der Gesamtbevölkerung sprechen, da 
die Masse des Volkes am politischen Leben noch keinen tätigen Anteil nahm 
und sich zu Souveränitätswechseln deshalb nicht äußerte. Honoratioren¬ 
gruppen prägten das politische Leben, und eine solche Gruppe aktiver Saar¬ 
brücker Bürger trat in den Ereignissen von 1815 in beachtlicher Stärke und 
Entschlossenheit in Erscheinung. Die politischen Erfolge der Saarbrücker 
Bürgerschaft wurden für die Erlebnisinhalte des deutschen Nationalgefühls 
an der Saar, insbesondere in Saarbrücken, von entscheidender Bedeutung. 
Als im Zuge der italienischen Einigung das deutsche Nationalbewußtsein 
allgemein wieder auflebte und die Möglichkeit einer kleindeutschen Eini¬ 
gung gegen Kompensationen an Frankreich aktuell wurde, nahmen Bürger¬ 
schaft und Presse in Saarbrücken zu diesen Fragen mit Leidenschaft Stellung. 
Zentrales Problem wurden für die Saarbrücker die französischen Wünsche 
nach territorialem Gewinn oder nach dem Ankauf der preußischen Staats¬ 
gruben an der Saar. Die französischen Pläne wurden energisch zurückgewie¬ 
sen, es kam wiederholt zu Treuebekenntnissen gegenüber Preußen, und in 
Gedenkfeiern verherrlichte man die Haltung der Saarbrücker in den Jahren 
1814/15, in der sich das Nationalbewußtsein der Saarländer bereits geoffen- 
bart habe. Die Frage einer nationalen Verteidigung des saarländischen Koh¬ 
lengebietes gegenüber Frankreich trat nach 1871 in den Hintergrund, da mit 
der Angliederung Elsaß-Lothringens an das Deutsche Reich das Saargebiet 
seinen Charakter als unmittelbares Grenzland Frankreichs verlor. 
Eng mit dieser Entwicklung eines Nationalbewußtseins, das sich gegen fran¬ 
zösische Annektionswünsche richtete, war an der Saar in einzelnen Gebieten 
eine starke Hinwendung zu dem kleindeutsch-preußischen Nationalstaat 
verbunden. Die Einverleibung der Saar in den preußischen Staat hatte die¬ 
sem 1814 und 1815 fernab liegende Gebiete angegliedert, deren Tradition 
bis dahin keine Verbindung zu Preußen besaß. Die bodenständige evange¬ 
lische Bevölkerung an der Saar, besonders das Bürgertum der Städte Saar¬ 
brücken und Ottweüer, die preußische Beamten- und Akademikerschaft und 
die Industriellen schlugen im Zuge der Nationalbewegung des 19. Jahrhun¬ 
derts diese Brücke. Nach anfänglich radikal demokratischen und linkslibe¬ 
ralen Tendenzen der saarländischen Vertreter in der Paulskirche13 und einer 
oppositionellen Haltung im preußischen Abgeordnetenhaus während der 
Konfliktszeit, wurde das Saargebiet nach 1867 eine Hochburg des National¬ 
liberalismus, und selbst freikonservative Kandidaten wurden in den Saar¬ 
kreisen gewählt14. Die Bedrohung durch Frankreichs Kompensationswünsche 
und die deutsche Einigung unter Preußens Führung begünstigten diese Ent¬ 
13 R. Noack, Die Revolutionsbewegung von 1848/1849 in der Saargegend, Mitteilun¬ 
gen des Historischen Vereins für die Saargegend, Heft 18, Saarbrücken 1928. 
14 Übersichten über die Wahlkreise der Saargegend und eine Zusammenstellung der in 
den Saarkreisen gewählten Kandidaten für den Preußischen Landtag von 1849—1918 
und für den Deutschen Reichstag von 1871—1918 bei Bellot, a. a. O., S. 247—251. 
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