Ersten Pariser Frieden hatte Talleyrand über die Grenzen von 1792 hinaus
an der Saar im Anschluß an Saarlouis die Stadt Saarbrücken und fast das
ganze saarländische Kohlengebiet für Frankreich behauptet. In Saarbrücken
war man enttäuscht, und der Kaufmann Heinrich Böcking trat deshalb noch
im Laufe des Jahres 1814 in Verbindung zu Görres, der sich der Saarfrage
im „Rheinischen Merkur“ 10 annahm. Der Sieg bei Waterloo ließ in Saar¬
brücken neue Hoffnungen aufleben. Als Hardenberg auf dem Weg nach
Paris durch Saarbrücken reiste, trugen ihm Vertreter der Bevölkerung ihr
Anliegen vor. Am 11. Juli 1815 traten 345 Bürger der Städte Saarbrücken
und St. Johann mit ihrer Unterschrift für eine Wiedervereinigung mit
Deutschland ein. Der Stadtrat beschloß daraufhin, eine Delegation von sechs
Saarbrücker Bürgern unter der Führung des Kaufmanns Böcking und des
Notars Lauckhard nach Paris ins preußische Hauptquartier zu entsenden,
um den Wünschen der Bevölkerung wirksamen Ausdruck zu verleihen. Die
Petitionen und die Argumente der Delegation trugen in ihren Formulierun¬
gen den Stempel der nationalen Bewegung, wie sie in Reaktion gegen das
Napoleonische System im Rheinland und in anderen Teilen Deutschlands
entstanden war. Die Schritte der Bevölkerung stützten die preußischen For¬
derungen11 in Paris; im Zweiten Pariser Frieden kamen die Kantone Saar¬
brücken, Saarlouis und Rehlingen an Preußen.
Die französische Saarliteratur führte nach 1918 die Aktivität der Saar¬
brücker Delegation auf die Agitation einiger Industrieller zurück, die sich
von dem preußischen Staat wirksame Wirtschaftshilfe erwartet hätten. Eine
solche These beachtet die für die damalige Zeit erstaunlich hohe Zahl der
Unterschriften nicht. Die Franzosen versuchten ihre Interpretation durch
den Hinweis auf Petitionen aus dem saarländischen Raum zur Zeit der
Französischen Revolution und auf Abstimmungen zur Zeit Napoleons zu
erhärten und deuteten die Anteilnahme der Bevölkerung am politischen
Leben in jener Epoche als Bekenntnis zu Frankreich12. Dagegen muß man
feststellen, daß die Berührung mit den Ideen der Französischen Revolution
und mit der französischen Gesetzgebung in den Rheinlanden die politische
wan, France and the Saar 1680—1948, New York 1950; F. Hellwig, Der Kampf
um die Saar, Leipzig 1934; ders., „Die Saarbevölkerung in den Jahren vor der Reichs¬
gründung“ in: A. Grabowsky u. G. W. Sante, Die Grundlagen des Saarkampfes, Berlin
1934, S. 74—82; M. Herold, J. Nießen, F. Steinbach, Geschichte der französi¬
schen Saarpolitik, Bonn 1934; F. Kloevekorn, Das Saargebiet, seine Struktur und
seine Probleme, Saarbrücken 1929, S. 67—120; H. Oncken, „Die Saarlande im Lichte
der europäischen Geschichtsentwicklung“ in: Grabowsky-Sante, a.a.O., S. 27—40; A.
Ruppersberg, Geschichte des Saargebietes, Saarbrücken 1923; J. Bellot, a. a. O.,
berücksichtigt die französische Saarpolitik, soweit sie für die innenpolitische Entwick¬
lung an der Saar relevant ist. Sie enthält die für uns entscheidenden Gesichtspunkte,
und die folgende Skizzierung der saarländischen politischen Probleme im 19. Jahr¬
hundert stützt sich im wesentlichen auf die Ergebnisse dieser Arbeit.
10 So besonders im „Rheinischen Merkur“ v. 17. 6. 1814, vgl. dazu Kloevekorn,
a. a. O., S. 91.
11 Vgl. dazu K. Griewank, Der Wiener Kongreß und die europäische Restauration2,
Leipzig 1954, S. 312 f.
12 Zu diesem Problem besonders: F. und A. Ecker, Der Widerstand der Saarländer
gegen die Fremdherrschaft der Franzosen 1792—1815, Saarbrücken o.J. (1934); vgl.
auch Lambert, a. a. O., S. 19.
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