Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935 (3)

Volkspartei noch 2 bis 3 Prozent der Stimmen. Der Stimmenanteil der 
Deutschnationalen Volkspartei lag dagegen im Reichsdurchschnitt bei knapp 
6 Prozent und sank nur in zwei Wahlkreisen (Niederbayern und Pfalz) 
unter die 1,6 Prozent der Saar. Die Wählerschaft der Deutsch-Saarländi¬ 
schen Volkspartei erwies sich als wesentlich stabiler als im Deutschen Reich. 
Das hing mit dem demokratischen Denken eines Teiles ihrer Wählerschaft, 
ihren unbestrittenen Verdiensten in der Saarpolitik und der festen jahr¬ 
zehntelangen Verwurzelung des Liberalismus in einem Teil der saarländi¬ 
schen Bevölkerung zusammen. Dieses Bild einer größeren Stabilität als in 
Deutschland wird noch ergänzt, wenn man den prozentualen Anteil der 
beiden radikalen Flügel — Kommunismus und Nationalsozialismus — 
zusammennimmt. Der Anteil des Radikalismus im Saargebiet lag weit unter 
dem Durchschnitt Gesamtdeutschlands, und mit Ausnahme des Wahlkreises 
Niederbayern unter dem Durchschnitt aller deutschen Wahlkreise. Der 
Prozentabstand gegenüber den Wahlkreisen, in denen der Radikalismus am 
schwächsten war (Köln-Aachen, Koblenz-Trier und Oberbayern-Schwaben), 
betrug etwa 5 Prozent. Aber in all diesen Wahlkreisen war das Verhältnis 
zwischen NSDAP und KPD umgekehrt, die NSDAP war weitaus stärker 
als die KPD. Damit unterschied sich tatsächlich bis 1933 das Saargebiet 
durch das fast vollständige Fehlen des Nationalsozialismus und der Rechts¬ 
gruppen von der innenpolitischen Situation in der Weimarer Republik. 
Die tieferen Gründe für die Eigenart der parteipolitischen Lage im Saar¬ 
gebiet sind wohl in zwei Entwicklungsprozessen jener Jahre zu sehen. 
Einmal hatte die bedrohte Grenzsituation zu einer Aktivierung und Zu¬ 
sammenfassung der politischen Kräfte und einer Stärkung des Gemein¬ 
schaftsbewußtseins geführt, so daß Gegensätze zwischen den Parteien und 
innerhalb der Bevölkerung gemildert und nicht verschärft wurden. Die 
Parteien außer den Kommunisten hatten zu Beginn der Völkerbundsregie¬ 
rung ihre Arbeit unter nationalen Gesichtspunkten und in engem gegen¬ 
seitigen Kontakt aufgenommen, und diese ihre anfängliche Tätigkeit blieb 
für die politische Ideenwelt der einzelnen Parteien wie für das Gesamt¬ 
system der Saarparteien prägend. Über die Parteien hinaus waren aber auch 
die Gewerkschaften, Berufsorganisationen, Wirtschaftsvertretungen und 
Vereine in die nationale Einheitsfront einbezogen worden. Das gesamte 
öffentliche Leben war politisiert worden15. Die Fiomogenität großer Teile 
der Saarbevölkerung und die Tatsache, daß erst unmittelbar nach dem Ersten 
Weltkrieg, also in denselben Jahren, die Arbeiterschichten sich in steigendem 
Maße politisch oder gewerkschaftlich organisiert hatten, begünstigte diesen 
Prozeß einer in erstaunlichem Maße einheitlichen politischen Bewußtseins¬ 
bildung16. 
15 Ein Zeichen dafür ist auch die Tatsache, daß die Hirsch-Dunkersehen Gewerkschaften 
sich nur in kleinen bedeutungslosen Gruppen behaupten konnten, während die 
Massen den politisierten Christlichen und Freien Gewerkschaften zuströmten. Dazu 
auch Straus, a. a. O., S. 62. 
16 Die Bedeutung des Ineinander von nationaler Parteipolitik und politisch-gewerk¬ 
schaftlicher Organisation der Arbeiterschaft zeigte sich auch in der entscheidenden 
Rolle, die saarländischen Gewerkschaftsführern zufiel. Levacher teilte am 11. Juni 
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