Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

umliegenden Wahlkreise des Deutschen Reiches7. Neue Parteigründungen in 
Deutschland und Umbenennungen von Parteien wurden aus der deutschen 
Entwicklung übernommen, wie z. B. die Vitus-Heller-Bewegung in der 
Gründung einer „Christlich-Sozialen Partei“, die nach deutschem Vorbild 
dann den Namen „Arbeiter- und Bauern-Partei“ erhielt8. Nachdem die 
grundsätzlichen Fragen an der Saar mit der Jahrtausendfeier und der Ein¬ 
setzung einer neutralen Kommission geklärt waren, standen auch die Lan¬ 
desratswahlen der Jahre 1928 und besonders 1932 stärker unter dem Ein¬ 
druck der deutschen politischen Probleme, so daß ab 1928 sich in steigendem 
Maße eine Einmündung in das gesamtdeutsche Parteileben abzeichnete9. 
Trotz dieser ideellen und organisatorischen Verbindung der saarländischen 
mit den deutschen Parteien bildeten sich an der Saar wesentliche Unter¬ 
schiede gegenüber dem System der deutschen Parteien aus, und zwar unter 
dem Einfluß der soziologischen Gegebenheiten des Saargebiets und der be¬ 
sonderen politischen Aufgaben der Saarparteien in der Saarfrage. 
Zunächst behauptete in dem Gebiet trotz seines überwiegend industriellen 
Charakters die Zentrumspartei eine beherrschende Stellung. Mit 14 Sitzen 
im Landesrat und noch 43 Prozent der Stimmen im Jahre 1932 und ihrer 
Verwurzelung in dem traditionsgebundenen und religiösen Denken weiter 
Kreise und Schichten der Saarbevölkerung gab sie dem politischen Leben an 
der Saar ein von heimatlichen Verhältnissen bestimmtes katholisches Ge¬ 
präge. Die Stellung des Zentrums war so unerschütterlich, daß sie als grund¬ 
legendes Faktum von den anderen Parteien akzeptiert werden mußte. Zwar 
behauptete die Zentrums- bzw. die Bayerische Volkspartei auch in einigen 
deutschen Wahlkreisen eine ähnlich starke Position, aber diese Wahlkreise 
waren bei fast ausschließlich katholischer Bevölkerung durch ihre Agrar¬ 
struktur gekennzeichnet10. 
Das Parteisystem des Saargebiets wurde des weiteren durch die außer¬ 
gewöhnlich enge Zusammenarbeit der drei tragenden Parteien, der Zen¬ 
trumspartei, der Sozialdemokratischen Partei und der Deutsch-Saarländi¬ 
schen Volkspartei, charakterisiert. Die Einigkeit in nationaler Hinsicht bil¬ 
dete eine feste Grundlage zur Stabilisierung des Verhältnisses der Parteien 
zueinander und ihrer politischen Zielsetzungen. Auch nach dem Ausscheiden 
der Sozialdemokraten aus dem interparteilichen Ausschuß verfolgten diese 
Parteien eine gemeinsame außenpolitische Linie11. Unter nationalpolitischen 
Gesichtspunkten setzte zudem eine fruchtbare gegenseitige Beeinflussung 
ein, durch welche die Parteien lernten, die Sozialstruktur der saarländischen 
Bevölkerung und die Gesamtheit der politischen Kräfte stärker zu berück¬ 
7 Sbr. Landesardhiv: Schneider-Becker-Archiv, Privatpapiere R. Becker Nr. 35. 
8 Ebenda, Nr. 34. 
9 Das spiegelte sich besonders in den Wahlkämpfen der saarländischen Zeitungen in 
den Jahren 1928 und 1932. 
10 Z. B. die Wahlkreise Koblenz—Trier und Niederbayern. Für alle Angaben über die 
Stärke der saarländischen Parteien vgl. Anlage 1, unten S. 335. Die Angaben über 
die Stärke der Parteien in den deutschen Wahlkreisen stützen sich auf die Über¬ 
sichten in Matthias-Morsey, a. a. O., S. 771—779. 
11 Vgl. oben S. 183 u. unten S. 216 u. Anm. 22 ebenda. 
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