umliegenden Wahlkreise des Deutschen Reiches7. Neue Parteigründungen in
Deutschland und Umbenennungen von Parteien wurden aus der deutschen
Entwicklung übernommen, wie z. B. die Vitus-Heller-Bewegung in der
Gründung einer „Christlich-Sozialen Partei“, die nach deutschem Vorbild
dann den Namen „Arbeiter- und Bauern-Partei“ erhielt8. Nachdem die
grundsätzlichen Fragen an der Saar mit der Jahrtausendfeier und der Ein¬
setzung einer neutralen Kommission geklärt waren, standen auch die Lan¬
desratswahlen der Jahre 1928 und besonders 1932 stärker unter dem Ein¬
druck der deutschen politischen Probleme, so daß ab 1928 sich in steigendem
Maße eine Einmündung in das gesamtdeutsche Parteileben abzeichnete9.
Trotz dieser ideellen und organisatorischen Verbindung der saarländischen
mit den deutschen Parteien bildeten sich an der Saar wesentliche Unter¬
schiede gegenüber dem System der deutschen Parteien aus, und zwar unter
dem Einfluß der soziologischen Gegebenheiten des Saargebiets und der be¬
sonderen politischen Aufgaben der Saarparteien in der Saarfrage.
Zunächst behauptete in dem Gebiet trotz seines überwiegend industriellen
Charakters die Zentrumspartei eine beherrschende Stellung. Mit 14 Sitzen
im Landesrat und noch 43 Prozent der Stimmen im Jahre 1932 und ihrer
Verwurzelung in dem traditionsgebundenen und religiösen Denken weiter
Kreise und Schichten der Saarbevölkerung gab sie dem politischen Leben an
der Saar ein von heimatlichen Verhältnissen bestimmtes katholisches Ge¬
präge. Die Stellung des Zentrums war so unerschütterlich, daß sie als grund¬
legendes Faktum von den anderen Parteien akzeptiert werden mußte. Zwar
behauptete die Zentrums- bzw. die Bayerische Volkspartei auch in einigen
deutschen Wahlkreisen eine ähnlich starke Position, aber diese Wahlkreise
waren bei fast ausschließlich katholischer Bevölkerung durch ihre Agrar¬
struktur gekennzeichnet10.
Das Parteisystem des Saargebiets wurde des weiteren durch die außer¬
gewöhnlich enge Zusammenarbeit der drei tragenden Parteien, der Zen¬
trumspartei, der Sozialdemokratischen Partei und der Deutsch-Saarländi¬
schen Volkspartei, charakterisiert. Die Einigkeit in nationaler Hinsicht bil¬
dete eine feste Grundlage zur Stabilisierung des Verhältnisses der Parteien
zueinander und ihrer politischen Zielsetzungen. Auch nach dem Ausscheiden
der Sozialdemokraten aus dem interparteilichen Ausschuß verfolgten diese
Parteien eine gemeinsame außenpolitische Linie11. Unter nationalpolitischen
Gesichtspunkten setzte zudem eine fruchtbare gegenseitige Beeinflussung
ein, durch welche die Parteien lernten, die Sozialstruktur der saarländischen
Bevölkerung und die Gesamtheit der politischen Kräfte stärker zu berück¬
7 Sbr. Landesardhiv: Schneider-Becker-Archiv, Privatpapiere R. Becker Nr. 35.
8 Ebenda, Nr. 34.
9 Das spiegelte sich besonders in den Wahlkämpfen der saarländischen Zeitungen in
den Jahren 1928 und 1932.
10 Z. B. die Wahlkreise Koblenz—Trier und Niederbayern. Für alle Angaben über die
Stärke der saarländischen Parteien vgl. Anlage 1, unten S. 335. Die Angaben über
die Stärke der Parteien in den deutschen Wahlkreisen stützen sich auf die Über¬
sichten in Matthias-Morsey, a. a. O., S. 771—779.
11 Vgl. oben S. 183 u. unten S. 216 u. Anm. 22 ebenda.
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