Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

Vertretung marxistisch-klassenkämpferischer und revolutionärer Ideen mu¬ 
tet in den Reden der saarländischen Kommunisten mit ihren stereotypen 
Wendungen phrasenhaft an. Die persönlichen materiellen Nöte, Unzufrie¬ 
denheiten und Hoffnungen führten die saarländische Arbeiterschaft zum 
Kommunismus71. Die Diskrepanz zwischen der von Moskau und Berlin pro¬ 
pagierten Linie und den letztlich sehr kleinbürgerlichen und persönlichen 
Sorgen ist wohl auch als Ursache für das politisch sterile Verhalten der saar¬ 
ländischen Kommunisten in den Jahren 1933/34 oder für ihre Hinwendung 
zum Nationalsozialismus anzusehen72. 
Überblickt man die Gesamtlinie der KPD-Politik und ihre Ideen an der 
Saar, so war die Haltung der Partei letztlich nur eine radikale Übersteige¬ 
rung der saarländischen Positionen. Ihr Internationalismus und Antikapita¬ 
lismus dienten als Basis des Kampfes gegen das bestehende Regierungssystem 
und seine Politik; die allgemeine Kritik an dem System wurde damit im 
Grunde nur übertrieben und marxistisch gefärbt. In manchen Forderungen 
und in konkreten Augenblicken offenbarte sich auch, wie nah man tatsäch¬ 
lich der nationalen Position der übrigen Parteien war. Man forderte wie sie 
die Rückkehr nach Deutschland und bekämpfte die französische Annexions¬ 
politik oder das Kolonialsystem73; man forderte die Angleichung an die 
deutsche sozial- und arbeitsrechtliche Situation74 und nahm Stellung gegen 
die Anwesenheit des französischen Militärs im Saargebiet75, gegen den fran¬ 
zösischen Franc als alleiniges Zahlungsmittel76 und gegen die französische 
Schule77. Man stand in geschlossener gewerkschaftlicher und parteipolitischer 
Einheitsfront während des lOOtägigen Streiks an der Saar. Als man sich von 
den 1000-Jahr-Feiern und dem Nationalismus der anderen Parteien distan¬ 
zierte, stellte man gleichzeitig nationalpolitisch bedeutsame Anträge78, und 
in der Begründung tauchten durchaus national geläufige Wendungen auf: 
71 So auch Straus, a. a. O., S. 124. 
72 Vgl. dazu unten S. 281. 
73 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 27. 4. 1923, S. 31; v. 5. 2. 1925, S. 20 f.; v. 30. 6. 
1925, S. 32; v. 4. 12. 1929, S. 342. Reinhard suchte 1925 Legationsrat Voigt im Aus¬ 
wärtigen Amt in Berlin auf, um für die saarländischen Kommunisten Freifahrtkarten 
nach Berlin zu erhalten. „Er glaubte das mit dem Hinweis darauf begründen zu sollen, 
daß seine Partei, wenn sie auch nicht als staatserhaltend angesehen werden könne, doch 
der imperialistischen französischen Politik im Saargebiet allerhand Unbequemlichkeiten 
bereitet habe, und daß die Reichsregierung doch nicht einzelne Parteien bevorzugen 
könne, sondern auch bei den Kommunisten auf möglichst enge Fühlungnahme mit dem 
Reiche halten müsse.“ So Voigt in einem Brief an Levacher, Durchschlag in A.A. 
II Bes. Geb., Saargeb., Saarparlament, Bd. 4 — II SG 806. 
74 So besonders die kommunistische Opposition im Landesrat am 4. 12. 1929 (Sten. 
Bericht S. 347). In der Oppositionspartei waren die nationalen Züge klarer ausgebildet. 
75 S. in Anlage 5 unten S. 345; außerdem Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 30. 6. 1925, 
S. 35. 
76 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 27. 4. 1923, S. 31; v. 30. 6. 1925, S. 32. 
77 Ebenda am 30. 6. 1925, S. 33: Hier heißt es: „Das war die Fortsetzung der alten 
Völkerbundspolitik, die durch den Versailler Vertrag, durch die Übergabe der Saar¬ 
gruben an den französischen Imperialismus, durch die Einführung der französischen 
Schulen, diese Französisierungs- und Lostrennungsbestrebungen begonnen hatte, um 
sie dann später durch die Einführung der französischen Währung, durch die Zoll¬ 
abschnürung am 10. Januar, durch den Garantiepakt zu verstärken.“ 
78 Ebenda, S. 31—35. 
201
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.