lernen, was im Hinblick auf die Eingliederung in das französische Zoll¬
system und auf den französischen Grubenbesitz an der Saar notwendig sei.
Die ganze Denkschrift war eine bewußte Distanzierung von den übrigen
Parteien, die als bürgerlich und nationalistisch charakterisiert wurden. Sie
war aus dem Bestreben der beiden Parteien entsprungen, bei den großen
Aktionen der saarländischen Parteien in Genf nicht ins Hintertreffen zu
gelangen. Die anderen Parteien hatten nach der Rückkehr der Genfer Dele¬
gation im Oktober eine große Versammlungstätigkeit entfaltet, die in paral¬
lel liegenden Massenkundgebungen der Parteien am 15. Oktober 1921 gip¬
felte22. Sie führten zu einer gemeinsamen Denkschrift der Parteien, die den
Stadträten und Kreistagen zur Stellungnahme vorgelegt wurde und allge¬
meine Zustimmung fand. Da nur die KPD- und USP-Abgeordneten sich
dagegen aussprachen oder sich der Stimme enthielten23, die Denkschrift aber
bedeutsame und allgemein anerkannte Forderungen anmeldete24, trat die
USP an einige Gewerkschaftssekretäre und an die KPD wegen eines eigenen
Memorandums heran25. Dieses trug in seinen demokratischen und arbeits¬
rechtlichen Forderungen stärker den Stempel der USP und der ihr nahe¬
stehenden Gewerkschaftler als der KPD. Aus der Denkschrift geht eindeutig
hervor, daß zwei Dinge in den Arbeitskreisen und von den radikalen
Gewerkschaftlern als wesentlich angesehen wurden: die vorbehaltlose Be¬
rücksichtigung der materiellen Interessen der Arbeiterschaft und die Achtung
ihrer Freiheitsrechte zur Durchsetzung ihrer sozial- und arbeitsrechtlichen
Wünsche. Die Gewerkschaften hatten diese Forderungen bereits 1920 bei der
Regierungskommission erhoben26, und die USP hatte 1920 eine gemeinsame
Petition27 aller Parteien an die Regierungskommission zur Schaffung eines
saarländischen Parlamentes mitunterzeichnet. Abgesehen von diesen For¬
derungen mußte die Denkschrift der Regierungskommission sehr angenehm
sein, da sie ihre Thesen von der nationalen Verhetzung der saarländischen
Bevölkerung durch die anderen Parteien unterstützte.
In diesem Zusammenhang ist es aufschlußreich, daß der Parteivorsitzende
der KPD, Max Waltz, 1922 wegen Bestechlichkeit aus der Partei ausge¬
schlossen wurde. Der Beschluß der KPD-Zentrale lautete:
„Die Zentrale bestätigt den Ausschluß von Max Waltz, Saarbrücken, da auf Grund
des vorliegenden Materials und seines eigenen Geständnisses feststeht, daß er
größere Geldbeträge von der Saarregierung genommen hat, um den Versuch zu
machen, die Politik der Partei in dem von der Saarregierung gewünschten Sinne zu
beeinflussen." 28
Die beiden Gewerkschaftsführer Emil Becker und Karl Krämer, die eben¬
falls an der Protestaktion und der Denkschrift wesentlich beteiligt waren,
22 S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43 (9. Period. Ber. d. Reg.-Kom.); S.Z. Nr. 276 v. 16. 10.
1921; S.L.Z. Nr. 273 v. 16. 10. 1921; Volksstimme Nr. 242 v. 17. 10. 1921.
23 Sbr. Stadtarchiv, Stadtratssitzung v. 20. 12. 1921, Bl. 288; S.Z. Nr. 342 v. 21. 12. 1921
„Die Wünsche der Saarbevölkerung“.
24 Vgl. oben S. 62 ff.
25 A.Z. Nr. 6 v. 7. 1. 1922.
26 S.D.N. Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 5. Jan. 1921, S. 8 f.
27 Deutsches Weißbuch, S. 246 f.
28 A.Z. Nr. 114 v. 7. 6. 1922 „Der Ausschluß v. Max Waltz bestätigt“; S.Z. Nr. 148
v. 8. 6. 1922 „Ein politischer .Führer' im Solde der Saarregierung“.
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