Während die Deutsch-Saarländische Volkspartei ihre Wahlkämpfe immer
unter dem Gesichtspunkt der nationalen Interessenvertretung der Saarbevöl¬
kerung und der bürgerlichen Sammlung führte und scharfe Angriffe auf
Zentrum und Sozialdemokraten tunlichst mied, zeigte sie sich im Kampf
gegen die Regierungskommission und gegen deren Politik besonders leiden¬
schaftlich und hart. Vor allem die „Saarbrücker Zeitung“ führte zeitweise
eine ausgesprochen radikale Sprache und kommentierte die Politik der Re¬
gierungskommission und die Rolle des Völkerbundes in der Saarfrage scharf
und teilweise übelwollend39. Propaganda und vor allem programmatische
Äußerungen40 der Deutsch-Saarländischen Volkspartei waren jedoch im all¬
gemeinen nicht vom Pathos der Deutschnationalen41 erfüllt. Die Forde¬
rungen für die Saar wurden von der Deutsch-Saarländischen Volkspartei
ganz selbstverständlich aus den westlichen Ideen42 des Selbstbestimmungs¬
rechtes der Völker, der Demokratie und des Völkerbundes begründet, und
die Bedeutung der sozialistischen Regierungen für die Aktivierung des Völ¬
kerbundes und der internationalen Verständigung wurde anerkannt43. Im
Rückgriff auf die moralischen Positionen des Völkerbundes, in der Vertre¬
tung der saarländischen Interessen in Genf und in der Politik Stresemanns
wurden die entscheidenden Stützen für eine günstige Entwicklung der Saar¬
frage und der Saarverhältnisse erblickt44. Die ständige Kritik an der Politik
der Regierungskommission und der mangelnden Aktivität des Völkerbundes
39 1929 kam es deshalb zu einem gespannten Verhältnis zwischen Völkerbundssekreta¬
riat und „Saarbrücker Zeitung“, und zwar auf Grund eines Berichts der S.Z. Nr. 63
v. 5. 3. 1929 über die Saardelegation und eines Artikels „Findelkinder des Völker¬
bundes“ (S.Z. Nr. 128 v. 12. 5. 1929). Am 19. 3. 1929 schrieb Rosting an Präsident
Wilton über den ersten Bericht: „Le Secrétariat général a fait savoir à M. Gansser
(Genfer Berichterstatter der S.Z.) par l’intermédiaire de la Section d’information, que
si des faits pareils se reproduisent, il sera obligé d’envisager la nécessité de défendre
formellement aux membres du Secrétariat de recevoir des membres de Délégations
de partis politiques de la Sarre.“ Die in dem Artikel v. 12. 5. 1929 geschilderten
Begleitumstände des Vortrags von Rosting (vgl. dazu oben S. 39 Anm. 3) werden von
diesem als „pure invention“ bezeichnet. S.D.N. Archives du Secrétariat, Sect. Pol.,
Sarre Nr. 56, Dossier Général.
40 Vgl. z. B. Erklärung bei der Eröffnung des Saarländischen Landesrats, Anlage 5,
unten S. 341 f.; außerdem zum Parteiprogramm von 1924; S.Z. Nr. 5 vom 6. 1. 1924
und Nr. 7 v. 8. 1. 1924.
41 Landesarchiv Saarbrücken: Schneider-Becker-Archiv, Privatpapiere R. Becker Nr. 189;
hier Reden von Pfarrer Reichard, dem Vorsitzenden der DNVP im Saargebiet; vgl.
auch Rede Pfarrer Reichards anläßlich der Jahrtausendfeier 1925, abgedruckt in
Weber, a. a. O., S. 135f.; Webers Arbeit ist leidenschaftlich geschrieben und stellt
alle Vorwürfe, die der Saarregierung gemacht wurden, heraus, Ansätze zu einer
objektiven und distanzierten Betrachtungsweise fehlen vollständig.
42 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 3. 1924, S. 16; außerdem Anlage 5, unten
S. 341 f.
43 Röchling, a. a. O., S. 99: „Der schwedische Ministerpräsident Branting und Lord
Parmoor hatten auch parteimäßige Verbindung, da der eine der Führer der schwe¬
dischen sozialdemokratischen Partei, der andere hervorragendes Mitglied der eng¬
lischen Arbeiterpartei war. Dadurch wurde die Zusammenarbeit im Sinne einer
Stärkung des Völkerbundsgedankens durch Beseitigung der Versailler Gewaltpolitik
erleichtert.“
Volksstimme Nr. 22 v. 26. 1. 1924 „Röchling in Dillingen“, hier äußerte Röchling in
einer Wahlrede ähnliche Gedanken.
44 S.Z. Nr. 131 v. 20. 5. 1922, „Die Wahlen zum saarländischen Landesrat“, ferner die
unter Anm. 42 genannten Flinweise.
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