Drittes Kapitel
Politische Ideen, Strukturen und System der Parteien
des Saargebiets
1. Die Zentrumspartei des Saargebiets
Die Zentrumspartei war während des ganzen Zeitraums von 1919 bis 1933
die stärkste Partei des Saargebiets. Ihr fiel im politischen Leben an der Saar
eine beherrschende Stellung zu1. Sie erhielt 1922 im Landesrat 16 von
30 Sitzen und behauptete in allen späteren Wahlen 14 Sitze. Ihr Anteil an
den abgegebenen gültigen Stimmen schwankte zwischen 48 und 43 Prozent2.
Erste Voraussetzungen zu ihrer Stabilität und Größe lagen in der Tatsache,
daß die saarländische Bevölkerung zu 72 Prozent katholisch war und für
eine Industriebevölkerung eine ungewöhnlich starke heimatliche Verwurze¬
lung besaß. Außerdem hatte die politische Entwicklung im neunzehnten
Jahrhundert der Zentrumspartei im Saargebiet in der Arbeiterschaft einen
Vorsprung gegeben. Die Partei galt durch den Kulturkampf und ihre Pro¬
teste gegen die Wahlbeeinflussungen als Vorkämpferin für eine freiheitliche
Entwicklung gegenüber staatlicher und kapitalistischer Bevormundung. Die
Anfänge einer größeren Arbeiterbewegung lagen in den katholischen Ar¬
beitervereinen und christlichen Gewerkvereinen, nicht bei den freien Ge¬
werkschaften3.
Zunächst trat die saarländische Zentrumspartei nach dem Kriege in der
Wahlbewegung zur Weimarer Nationalversammlung noch ganz im Rahmen
der Verbindungen zum Rheinland auf. Die „Saarbrücker Volkszeitung“, wie
ihr Parteiorgan 1919 noch hieß, wurde in Trier von der Bischöflichen Pau¬
linusdruckerei gedruckt und veröffentlichte vor allem die Aufrufe der rhei¬
nischen Zentrumspartei und des Reichsausschusses der Deutschen Zentrums¬
partei4. Im übrigen erschienen täglich Artikel gegen die Sozialisten und ihre
Versuche, an der Saar Boden zu gewinnen. Besonders wandte man sich gegen
die Bemühungen der saarländischen Sozialdemokraten, in ihrer Wahlpropa¬
ganda darzutun, daß sie nicht religionsfeindlich seien5. Ein Hirtenbrief meh¬
rerer westdeutscher Bischöfe gegen die Sozialdemokratie wurde in der Zei¬
tung veröffentlicht6. Es wurde Tradition des saarländischen Zentrums, daß
1 Auf den Typ der „parti dominant“ und seine Wesensmerkmale weist M. Duverger,
Les Partis Politiques, Paris 1951, S. 340 ff. hin.
2 Vgl. dazu unten Anlage 1, S. 335.
3 Zu dieser Entwicklung bes. Beilot, a. a. O., S. 161—223; Gabel, a. a. O., S. 90ff.
u. S. 125—150; Kiefer, a. a. O., S. 19—40; Borck, a. a. O., S. 43 ff.; vgl. auch
oben S. 27.
4 S.V.Z., Januar 1919.
5 S.V.Z. Nr. 8 v. 11. 1. 1919 „Religion ist Privatsache“.
6 S.V.Z. Nr. 10 v. 14. 1. 1919.
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