Die Vertreter von Handel und Industrie und die politischen Parteien an der
Saar waren auf Grund dieser Situation nicht gewillt, die endgültige Ein¬
gliederung in das französische Zollsystem ohne ihre Stellungnahme und ohne
Darlegung ihrer Wünsche hinzunehmen. Bereits am 19. Mai 1924, als im
Landesrat der Verordnungsentwurf der Regierungskommission über die
Einführung der französischen Zollgesetze im Saargebiet vorlag, entwickelten
sie ihre Vorstellungen. Alle Parteien erklärten sich in der Schlußdebatte über
diese Verordnung gegen die vorgesehene Eingliederung in das französische
Zollsystem und betonten, die Regierungskommission dürfe sich nicht einfach
als Vollstreckerin des Versailler Vertrages begreifen, sondern ihre Verant¬
wortung für Interessen und Wohl der Saarbevölkerung verpflichte sie, Mit¬
tel und Wege zur Abwendung der vorgesehenen Lösung zu finden3. Die
Vorlage wurde abgelehnt, aber da man letztlich doch mit ihrer Einführung
rechnete, hatte man sich in den vorangegangenen Kommissionssitzungen ein¬
gehend mit den Zollfragen beschäftigt und in enger Zusammenarbeit mit der
Regierungskommission Veränderungswünsche vorgetragen und begründet4.
In Erwartung der Schließung der Zollgrenzen gegen Deutschland begann die
Saarbevölkerung 1924 auf Vorrat deutsche Waren zu kaufen5. Als die fran¬
zösische Zollverwaltung und die Regierungskommission eine solche Vorver¬
sorgung über das Jahr 1924 hinaus nicht dulden wollten, protestierte die
Reichsregierung in den Monaten April und Mai 1924 unter Berufung auf
den Versailler Vertrag gegen Kontingentierungs- und Kontrollmaßnah-
men6. Die Regierungskommission wies zwar die Auffassung der Reichs¬
regierung zurück, Rault sah sich aber doch genötigt, in einer ausführlichen
Stellungnahme an den Generalsekretär des Völkerbundes am 17. Juni 1924
die Schritte der Regierungskommission zu rechtfertigen7. Es handele sich um
den Schutz der heimischen Industrie, da sich seit 1923 an der Saar Unter¬
nehmungen, vor allem für Textilien, niedergelassen hätten, die Stocks bis
zum Jahre 1935 anlegen wollten, um den Zoll nach 1925 zu sparen. Die
zugelassene Einfuhr z. B. für die deutschen Maschinen liege 50 Prozent über
der Einfuhr der Jahre 1920 bis 1922. Eine Vorversorgung über den 10. Ja¬
nuar 1925 hinaus sei nicht im Sinn des Versailler Vertrages. Am 9. August
1924 wandten sich daraufhin die Zentrumspartei, die Deutsch-Saarländische
Volkspartei und die Sozialdemokratische Partei mit einer Denkschrift an
den Rat des Völkerbundes, in der sie u. a. forderten, daß der französische
Staat und die Regierungskommission veranlaßt würden, jede zeitliche und
mengenmäßige Beschränkung der zollfreien Einfuhr aus Deutschland sofort
aufzuheben8. Auch die deutsche Reichsregierung erhob am 16. August 1924
3 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1924, bes. S. 10 ff. u. S. 27.
4 Ebenda, S. 1—8.
5 Darüber besonders Notenwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt, der Regierungs¬
kommission und dem Generalsekretariat des Völkerbundes: S.D.N. J.O. V,7 (1924),
S. 1022—1025.
6 Ebenda.
7 Ebenda.
8 S.D.N. C. 413. M. 152. 1924. I.
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