berücksichtigte und ausglich, ermöglichte den Parteien im Landesrat eine
Steuerpolitik, die weniger auf die Ausarbeitung ihrer unterschiedlichen Auf¬
fassungen abgestellt war, denn auf jene Gesichtspunkte, die aus der beson¬
deren Situation der Saar erwuchsen: Soziale Steuerpolitik mit Rücksicht auf
die Arbeiterschaft des Saargebietes, nationale Steuerpolitik durch Rechts¬
angleichung an Deutschland und Ablehnung der französischen Einflüsse und
schließlich Verteidigung der demokratischen Freiheiten der Gemeinden.
Letztlich war die günstige Entwicklung auf steuerlichem Gebiet aber nur
möglich, weil die Zollregelungen dem Gebiet eine wirtschaftlich bevorzugte
Stellung verliehen, die Abkommen über die Pensionen und Sozialversiche¬
rungen das Deutsche Reich zu erheblichen finanziellen Leistungen für die
Saar verpflichteten und das Saargebiet selbst keine Reparationslasten zu
tragen hatte.
Zollfragen
Die Eingliederung des Saargebiets in das französische Zollsystem nach einer
Übergangszeit von fünf Jahren war durch § 31 des Saarstatuts des Ver¬
sailler Vertrages festgelegt. Die Festsetzung der Zölle fiel nach § 26 nicht
unter jene Abgaben, zu denen die Vertreter der Bevölkerung anzuhören
waren. In dem saarländischen Industriegebiet, das auf die Einfuhr von
Erzen, Lebensmitteln und anderen Gütern und die Ausfuhr seiner Produk¬
tion angewiesen war, berührten Zollregelungen jedoch lebenswichtige Inter¬
essen. Besonders für die Eisenindustrie des Saargebietes blieb der Export
nach Deutschland eine Existenzfrage1, da sich in den Jahren bis 1924 er¬
wiesen hatte, daß Frankreich die saarländische Produktion neben der loth¬
ringischen nicht aufnehmen konnte. Außerdem waren die Betriebe an der
Saar auf die Versorgung mit deutschen Maschinen und Ersatzteilen einge¬
richtet, und die Bevölkerung erwartete weiterhin die Lieferung von deut¬
schen Medikamenten, Textilien, Möbeln und anderen Verbrauchsgütern2.
Die für den 10. Januar 1923 vorgesehene vollständige Eingliederung in das
französische Zollsystem hatte Folgen für die gesamte Bevölkerung, und die
wirtschaftliche Abhängigkeit der Saar vom französischen Staate offenbarte
sich in aller Schärfe. Es zeigte sich, daß die Regierungskommission durch die
wirtschaftlichen Regelungen des Versailler Vertrages trotz ihrer Gesetz¬
gebungsbefugnisse letztlich nicht Herr im eigenen Hause war.
1 Die französischen Industriellen konnten aus diesen Gründen 1919/20 nur unter Druck
der französischen Regierung für die Beteiligung an der Saareisenindustrie interessiert
werden (Staley, a. a. O., S. 599), und Vertreter einer französischen Wirtschafts¬
expansion an der Saar kritisierten ausdrücklich, daß die Frage des Absatzes der saar¬
ländischen Eisen- und Stahlproduktion von Frankreich nicht gelöst wurde (Revire,
Perdrons-nous la Sarre?, S. 67ff.). Vgl. zu diesem Problemkreis auch Borck, a. a. O.,
S. 25; W. Cartellieri, Die Eisenindustrie an der Saar, in Kloevekorn, a.a.O.,
S. 340; H. Chiny, Le Retour eventuel de la Sarre & l’Allemagne vu par les Alle-
mands (These, Droit), Paris 1932, S. 15 f.; Marvaud, a. a. O., S. 33; Metzger,
a. a. O., S. 99.
2 Dazu bes. die beiden Denkschriften der Parteien nach Genf: S.D.N. C. 413. M. 152.
I. v. 9. 8. 1924 und C. 116. M. 56. 1925. I. v. 16. 2. 1925; außerdem Röchling,
Wir halten die Saar, S. 104 ff.; Metzger, a. a. O., S. 99.
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