entwicklung nach 1920 ohne weiteres als Parallele zu den Ereignissen nach
1945 interessant. So erweiterte Russell seine ursprüngliche Arbeit9, und eine
neue Untersuchung von Cowan stellte die Frage nach dem Verhältnis
Frankreichs zur Saar von 1680 bis 1948 10. Im Saargebiet selbst und in der
deutschen und französischen Forschung erschienen keine Saararbeiten über
die Zeit des Völkerbundsregimes. Der Plan zu den beiden Arbeiten von Hel¬
mut Hirsch, die die Themen Versailles und Genf in der Saarfrage aufgrif¬
fen11, erwuchs wohl ebenfalls in der Distanz Amerikas vom Europa des
Zweiten Weltkriegs. Die beiden großen Werke über die Saarfrage nach 1945
von Jacques Freymond12 und Robert Schmidt13 sind sehr zurückhaltend in
Rückgriffen auf die Zeit vor 1935. Man empfand wohl, daß Nationalsozia¬
lismus und Zweiter Weltkrieg einen solchen Kontinuitätsbruch im politi¬
schen Bewußtsein darstellten und die allgemeine politische Situation sich seit
1945 so entscheidend gewandelt hatte, daß man in einer einfachen Heraus¬
stellung der Parallelen zwischen der Saarsituation von 1920 bis 1935 und
von 1945 bis 1955 vorsichtig war.
Die vorliegende Arbeit greift nun erneut das Problem der Saar unter dem
Völkerbundsregime auf. Die Distanz, die gegenüber den politischen Erlebnis¬
inhalten jener Zeit besteht, und der Abschluß, den das Saarproblem 1955
gefunden hat, lösen die Fragestellung auch für eine Saarländerin von jedem
aktuellen politischen Gesichtspunkt und ermöglichen den Versuch der histo¬
rischen Betrachtung einer relativ naheliegenden Vergangenheit. Mit dem
Thema Parteien und Politik im Saargebiet von 1920 bis 1935 soll nicht eine
Parteigeschichte geboten und dadurch eine Lücke in der Saarliteratur ge¬
schlossen werden, sondern der Ansatzpunkt bei den politischen Parteien
scheint mir für die Ausweitung der Problemstellung, wie sie notwendig
geworden ist, fruchtbar. Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus und
der veränderten europäischen und weltpolitischen Konstellation der Gegen¬
wart wurden für die deutsche Forschung die Fragen nach den politischen
Parteien in der Weimarer Republik, nach der inneren Struktur des deutschen
Nationalstaats und des deutschen Nationalbewußtseins und nach dem Phä¬
nomen des Nationalstaats überhaupt aufgeworfen131. Auch die Frage nach
9 F. M. Russell, The International Government of the Saar, Berkeley — California
1926; ders., The Saar Battleground and Pawn, Stanford — California 1951.
10 L. G. Cowan, France and the Saar 1680—1948, New York 1950.
11 H. Hirsch, Die Saar in Versailles (Rheinisches Archiv Nr. 42), Bonn 1952; ders.,
Die Saar von Genf, (Rheinisches Archiv Nr. 46), Bonn 1954.
12 J. Freymond, Die Saar 1945—1955, München 1961.
13 R. H. Schmidt, Saarpolitik 1945—1957, 3 Bde., Berlin 1959, 1960, 1963.
13a Z. B.: K. D. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, Villingen 1955;
E. Matthias u. R. Morsey, Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960; W.
Conze, Die Krise des Parteienstaates in Deutschland, Historische Zeitschrift 178,
1954; Th. Schied er, Das Deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat, Wissen¬
schaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nord¬
rhein-Westfalen, Bd. 20, Köln u. Opladen 1961; ders., Das Verhältnis von politischer
und gesellschaftlicher Verfassung und die Krise des bürgerlichen Liberalismus, Histo¬
rische Zeitschrift 177, 1954; ders., Der Nationalstaat in Europa als historisches Phä¬
nomen, Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Heft
119, Köln u. Opladen 1964; ders., Idee und Gestalt des übernationalen Staates seit
dem 19. Jahrhundert, Historische Zeitschrift 184, 1957, S. 336—366. Auch in dem
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