Sozialversicherungen wurde eine Übernahme der gesamten deutschen Ge¬
setzgebung wie eine Wiederangliederung an die deutschen Versicherungs¬
träger verlangt. Das Vorgehen der Regierungskommission zur Abtrennung
der saarländischen Versicherungsträger wurde als ungesetzlich bezeichnet. In
arbeitsrechtlicher Hinsicht forderte man ebenfalls die restlose Einführung
der deutschen Nachkriegsgesetzgebung über Arbeiterschutz und Koalitions¬
recht, Kollektivverträge und Schiedsgerichtsbarkeit, Arbeitervertretung, Ar¬
beitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung. Dieselben Wünsche wurden
auch in der Denkschrift der Sozialdemokratischen Partei vom Februar
192686 erneut in Genf vorgetragen. Rault war über die Denkschriften vom
September 1925 und die Verhandlungen der saarländischen Delegation be¬
unruhigt, reiste deshalb nach Genf und besprach die Angelegenheit mit dem
Generalsekretär Drummond87. Außerdem arbeitete die Regierungskommis¬
sion ein ausführliches Gutachten zu den Memoranden vom September aus.
Dieses Gutachten war aus je einem Gutachten von Rault und von Koßmann
entstanden und in der endgültigen Überarbeitung von der Regierungskom¬
mission einstimmig gutgeheißen worden88. Es wurde am 3. November 1925
dem Rat übersandt89.
Grundsätzlich betonte das Gutachten der Regierungskommission die wirt¬
schaftliche Sonderentwicklung des Saargebietes und die Notwendigkeit, auch
in dem Versicherungswesen auf die Struktur der saarländischen Wirtschaft
Rüdesicht zu nehmen. Außerdem wurde zu den Vergleichstabellen über
deutsche und saarländische Leistungen geltend gemacht, daß die Aufstellung
nicht überall vom Durchschnitt der deutschen Leistungen, sondern von
Höchstleistungen ausgehe. Die Regierungskommission habe die Leistungen
im Saargebiet laufend erhöht und habe den Stand der Vorkriegszeit, der
durch den Friedensvertrag garantiert sei, wiederherstellen können. Außer¬
dem seien auch die anderen Komponenten der Wohlfahrt wie Vollbeschäf¬
tigung und Kaufkraft der Löhne mitzusehen. Kein Land kenne zwar so
hohe Leistungen wie Deutschland, aber die Saarländer sähen nur die höheren
Leistungen, ohne an die Belastungen für die Wirtschaft und die Steigerung
der Lebenshaltungskosten durch eine solche Politik zu denken. Außerdem
wies die Regierungskommission auch auf die Notwendigkeit der Befragung
des französischen Staates hin und stellte fest, daß Deutschland seinen finan¬
ziellen Verpflichtungen in den Sozialversicherungen nicht nachgekommen sei.
Zu den arbeitsrechtlichen Wünschen der Memoranden legte die Regierungs¬
kommission zunächst einmal dar, daß die Darstellung der Gewerkschaften
den falschen Eindruck erwecke, als ob bestimmte fortschrittliche Entwick¬
lungen an der Saar nicht gegeben seien. Das Gutachten zeigte im einzelnen
auf, daß die arbeitsrechtliche Lage und die Praxis durchaus günstig seien und
erhob sachliche Einwände gegen die gewünschten deutschen Gesetze, ins¬
86 S.D.N. C. 124. M. 53. 1926. I.
87 S.D.N., Archives du Secrétariat, Sect. Politique, Sarre, Nr. 56, Dossier général I,
Record of Interview E.D. v. 8. 9. 1925: Drummond für Colban.
88 Com. d. Gouv., Procès-verbaux v. 31. 10. 1925, S. 5, u. v. 3. 11. 1925.
89 S.D.N. C. 701. M. 254. 1925. I., auch zu den folgenden Ausführungen.
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