34
Die Lehre vom Urteil
oder falsche bezeichnen hört, so scheint es zwar, als ob die Sätze schon Urteile
wären, da, wie Aristoteles bemerkt hat, die Urteile dadurch charakterisiert
sind, daß sie wahr oder falsch sein können. Aber bei genauerer Betrachtung
zeigt sich, daß die Sätze nur in übertragenem Sinne wahr oder falsch genannt
werden, nämlich dann, wenn die in ihnen liegenden Urteile wahr oder falsch
sind, und daß die Sätze für sich nur sprachlich entweder richtig oder falsch
gebildet sein können, was für die Wahrheit oder Falschheit der zugehörigen
Urteile noch gar nichts ausmacht.
Weil also die Behauptungssätze von den zugehörigen Urteilen wesentlich
verschieden sind, darf die logische Untersuchung der Urteile nicht nur
nicht an den Sätzen haftenbleiben, sondern sie darf auch nicht ohne weiteres
von der Beschaffenheit und dem Aufbau der Sätze auf die Beschaffenheit und
den Aufbau der Urteile schließen.
3. Die Beziehung zwischen Urteil und Behauptungssatz
Die Beziehung, die zwischen einem Behauptungssatz und dem in ihm
ausgedrückten Urteil besteht, ist keine umkehrbare, d. h. der Satz bringt wohl
das Urteil, aber nicht das Urteil den Satz zum Ausdruck. Satz und Urteil
nehmen in dieser Beziehung ganz verschiedene Stellungen ein. Der Satz ist
gleichsam das Äußere, das Urteil das Innere, das in dem Äußeren sich aus¬
prägt und dadurch das an sich gedankenleere Äußere gedanklich beseelt.
Es war daher eine völlige Verkennung des eigenartigen Verhältnisses, das
zwischen dem Satz und dem Urteil besteht, als man diese Beziehung als eine
bloße »Assoziation« erklärte. Denn in einer solchen Assoziation haben die
verbundenen Glieder eine wesentlich gleichartige Stellung, die nur die Unter¬
schiede des Nebeneinander und Nacheinander zeigt. Gewiß sind die Urteile
mit den sprachlichen Sätzen nur im Bewußtsein denkender Wesen verbunden,
da nur denkende Wesen Urteile bilden können. Und gewiß führt das Hören
bestimmter Sätze die entsprechenden Urteile in das Bewußtsein des hörenden
und denkenden Wesens ein. Will man also mit der Behauptung, zwischen den
Sätzen und den Urteilen bestehe eine Assoziation, nicht viel anderes als dies
besagen, so ist die Behauptung allerdings richtig. Aber damit ist das Wesen
der Ausdrucksbeziehung zwischen dem Behauptungssatz und dem zugehöri¬
gen Urteil durchaus nicht erschöpfend bestimmt. Die Ausdrucksbeziehung
ist eben mehr als eine bloße Assoziation. Ein bestimmter Satz kann z. B.
hartnäckig an einen Gedanken erinnern, der gar nicht in ihm ausgedrückt
ist und der dadurch auch niemals zum Sinn des Satzes selbst wird. Der Ge¬