Full text: Logik

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Die Lehre vom Urteil 
kann im bestimmten Fall der Fragesatz: »Ist das nicht häßlich?« das Urteil: 
»Das ist häßlich« ausdrücken; der Fragesatz: »Wollen Sie mir das Salz 
geben?« dem entsprechenden Wunsch Ausdruck verleihen. Wird der Frage¬ 
satz: »Wo ist mein Hut?« an die Dienerin gerichtet, so ist er gewöhnlich 
Ausdruck eines Befehls und wird daher adäquat beantwortet, nicht durch die 
Aussage: »dort ist er«, sondern durch die Tat des Herbeireichens. 
Ebenso kann der Wunschsatz: »Ach, hätte ich doch einen Federhalter!« 
gelegentlich der Ausdruck des Befehls sein, mir einen Federhalter zu reichen. 
In die Form des Befehlssatzes werden übrigens schon normalerweise nicht 
nur Befehle, sondern auch Bitten, Aufforderungen, Ratschläge, Warnungen 
u. dgl. gekleidet. 
In den angeführten Beispielen anomaler Funktion der sprachlichen Sätze 
stimmt der Normalsinn noch in einem gewissen Betrag mit dem anomalen 
Sinn überein. Die Übereinstimmung kann aber mehr und mehr abnehmen 
und schließlich ganz aufhören, so daß gelegentlich der Normalsinn des Sat¬ 
zes seinen Hintersinn vollständig verdeckt. Ein Rest von Übereinstimmung 
ist z. B. noch vorhanden, wenn die Behauptung: »Das Lesen beim Essen ist 
sehr schädlich« die Bitte kundgeben soll: »Leg doch bitte die Zeitung weg 
und unterhalte Dich mit mir.« Der Hintersinn der Aussage ist also hier noch 
nicht ganz, aber doch schon sehr beträchtlich durch den Vordersinn verdeckt. 
Der Gebrauch der Sätze mit Vordersinn und einem mehr oder weniger ver¬ 
deckten Hintersinn ist ein »doppelbödiges Sprechen«. Gelegentlich kann aber 
ein Satz sogar mehrere Hintersinne gleichzeitig kundgeben, die je nach der 
Beschaffenheit seines verdeckenden Vordersinnes und der gegebenen Situa¬ 
tion mehr oder weniger leicht zu erraten sind. Da das weibliche Geschlecht 
im allgemeinen gern doppel- oder sogar mehrbodig spricht, der Mann aber 
meistens einfach einbodig, so entstehen notwendig viel Mißverständnisse 
zwischen beiden, wenn die Frau zugleich doppelbödig, der Mann aber zu¬ 
gleich bloß einbodig hört und versteht. Da die Hintersinne mehrerer nach¬ 
einander gesprochener Sätze natürlich meistens in einem anderen logischen 
Zusammenhang stehen als ihre verdeckenden Vordersinne, so kann sich 
offenbar die größte Unlogik des Vordersinnes mit der schönsten Logik des 
Hintersinnes verbinden, und auch umgekehrt die Logik des Vordersinnes 
mit der größten Unlogik des dahinter vermuteten Hintersinnes. Woraus dann 
so gern die zwischen Mann und Frau hin- und hergehenden Vorwürfe der 
Unlogik entspringen, besonders wenn sie beide nicht ahnen, daß die Frau 
doppelbödig, der Mann aber nur einbodig spricht und hört. 
Diejenigen sprachlichen Sätze nun, in denen normalerweise Urteile oder
	        
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