Einleitung
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Da nun aber die Erkenntnislehre, um von ihrem Standort aus ihre Auf¬
gabe voll erfüllen zu können, notwendig die innere Aufhellung der Urteile,
ihrer Elemente, ihres Aufbaues, ihres Anspruchs auf Wahrheit, ihrer Arten
und Zusammenhänge bedarf, und da diese von ihrem Standpunkt aus nicht
zu gewinnen, sondern nur von der Logik zu erwarten ist, so ergibt sich zu¬
gleich, daß die Erkenntnislehre notwendig die Logik voraussetzt. Die Logik
dagegen kann ihre Aufgabe voll und ganz erfüllen, ohne die Erkenntnis¬
lehre irgendwie vorauszusetzen oder zu Hilfe zu ziehen. Sie ist daher nicht
nur verschieden von der Erkenntnislehre, sondern auch von ihr ganz un¬
abhängig. Es ist auch leicht ersichtlich, daß die Logik, sobald der erkenntnis¬
theoretische Gesichtspunkt in ihr maßgebend wird, notwendig der Gefahr
verfällt, in die Irre zu gehen, da sie dann nur schwer ihren einheitlichen
Standpunkt festzuhalten vermag und leicht zu unreinlicher Vermischung der
logischen und erkenntnistheoretischen Aufgaben verführt wird.
Im folgenden soll daher die Logik unabhängig von jeder Erkenntnislehre
und ohne jede Beimischung erkenntnistheoretischer Untersuchung behandelt
werden.
Neuerdings tritt die Phänomenologie als die philosophische Grundwissen¬
schaft auf. Sie ist nicht identisch mit der Erkenntnislehre, sondern be¬
ansprucht, auch dieser als ihre Grundlage vorherzugehen. Sie ist aber auch
nicht mit der Logik identisch. Um das Verhältnis, das zwischen diesen drei
philosophischen Wissenschaften besteht, ein wenig aufzuhellen, sei hier noch
kurz auf das Verhältnis der Logik zur Phänomenologie eingegangen.
5. Logik und Phänomenologie
In Kürze und doch verständlich heute zu sagen, was Phänomenologie ist
und will, wird zwar von vielen Seiten gewünscht, ist aber derzeit wohl kaum
möglich. Es kann sich hier nur darum handeln, den Gegenstand und die
Aufgabe der Phänomenologie einigermaßen ahnen zu lassen und die Stel¬
lung der Logik zu der so bestimmten Wissenschaft zu charakterisieren. Be¬
ginnen wir damit, uns die Situation vor Augen zu führen, die wir überblick¬
ten, als wir den Gesamttatbestand des Denkens auseinanderlegten. Das
denkende Subjekt, von dem die ganze Mannigfaltigkeit der gedankenbilden¬
den Denkakte ausgeht, in zielendem Gegenüber zu der ganz unbeschränkten
Mannigfaltigkeit von Gegenständen aller möglichen Gegenstandsgebiete,
entwickelt, indem ihm diese Gegenstände bald in dieser, bald in jener Art
des Bewußtseins gegenübertreten, nacheinander in bezug auf die einzelnen