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Einleitung
die Gedanken beziehen, ganz aus den Augen zu verlieren, so tut sich dem
Blick jene eigentümliche Welt auf, die den möglichen Gegenstand einer be¬
sonderen Wissenschaft, nämlich einer systematischen Gedankenlehre bildet.
Wir wissen schon aus dem täglichen Leben, daß es in dieser ideellen Sphäre
sehr verschiedenartige und mit verschiedenen Namen belegte Gedanken¬
gebilde gibt, die, obgleich sie vom menschlichen Denken produziert sind,
dennoch ein Eigensein und eine eigenwillige Gesetzmäßigkeit zeigen, mit
denen sie dann, nachdem sie produziert sind, dem denkenden Menschen for¬
dernd gegenübertreten. Es ist daher zu vermuten, daß sie die objektiven Be¬
dingungen der Möglichkeit einer Wissenschaft von ihnen erfüllen. Wir wis¬
sen außerdem, daß wir diesen Gedankengebilden gegenüber die subjektiven
Tätigkeiten des Vergleichens, des Unterscheidens, des Abstrahierens, des Zer¬
legens, des Wegnehmens, Hinzufügens und Verändems von Bestandteilen,
weiterhin die Tätigkeiten des Verbindens und Trennens mehrerer Gedanken¬
gebilde ausführen können, Tätigkeiten, die nötig sind, um subjektiv die Be¬
dingungen zu erfüllen, damit eine Wissenschaft von dieser ideellen Sphäre
zustande kommt. Die Zurückbeugung des Blicks, die erforderlich ist, damit
die Gedankengebilde für sich sichtbar werden, ist jedoch eine so ungewohnte
und so schwer aufrechtzuerhaltende Leistung, und der Blick bleibt so sehr an
den helleren Gegenständen, an den sprachlichen Formen oder an dem seeli¬
schen Vorgang des Denkens haften, daß die Stelle der Gedankengebilde dem
ungeübten Blick zunächst als eine ziemlich dunkle und leere erscheint, an
der wohl überhaupt etwas vorhanden ist, an der aber zunächst nichts Ge¬
naueres zu erkennen ist. Erst mit steigender Übung und Gewöhnung an diese
künstliche Blickstellung füllt sich diese Stelle deutlicher und deutlicher aus.
Das von den anderen Wissenschaften noch unbesetzte Gebiet der Ge¬
danken ist aber nicht nur der Gegenstand einer möglichen Wissenschaft, son¬
dern dieses Gebiet muß auch von dem erkennenden Menschen untersucht
werden, wenn er seinem eigenen Wesen gerecht werden will. Denn es liegt
im Grundwesen des Menschen begründet, daß er sich denkend alles Erkenn¬
baren überhaupt bemächtigen soll. Das Licht seiner Erkenntnis muß sich
daher auch auf dieses unbesetzte Gebiet reflektierend und erleuchtend zurück-
wenden.
2. Die traditionelle Logik
Blicken wir nun nach diesem Ausblick auf eine systematische Gedanken-
Wissenschaft auf die Logik hin, wie sie in der Geschichte der Philosophie