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I. Typische Einwände gegen die Metaphysik
Erkenntnisweise. Der alte Dogmatismus verstand die Bewegung
als die dauernde Fortentwicklung der sie hervorbringenden Ur¬
sachen. Diese Ursachen waren nicht mechanische Kraftentfaltungen,
sondern man sah als Ursachen überall psychische Wesenheiten und
natürlich zuletzt den Finger Gottes als die Ursache aller Ursachen
an. So glitt die Naturerklärung hinein in eine mystisch-theologische
Spekulation, deren geheimes Vorbild schließlich die biblische Lehre
und die Offenbarungsdogmatik waren. Im Gegensatz dazu zeigte
nun Galilei den Grund der Fortdauer einer Bewegung in dem so¬
genannten Trägheitsprinzip, d. h. in der Notwendigkeit des Be¬
harrens des Objektes selber in seinem Bewegungszustand. Gemäß
dieser Notwendigkeit durchläuft das Objekt jedes folgende Diffe¬
rential seiner Bahn darum, weil es das vorangehende durchlaufen
hat. Die Beziehung zwischen den Abschnitten der Bahn ist eine
streng gesetzliche und mathematisch bestimmbare, ln der Natur
wirkt sich ein einziger, undurchbrechbarer und in mathematischen
Formeln ausdrückbarer Zusammenhang aus. An ihm kann auch die
Allmacht Gottes nicht rütteln.
Damit war die metaphysische Naturbetrachtung vernichtet, die
mit dem Begriff der „geheimen Qualitäten“ (qualitates occultae)
arbeitete und arbeiten konnte, weil sie im Hintergrund des Ge¬
schehens die geheime Urkraft Gottes im Spiel sah und in die wissen¬
schaftliche Erkenntnis als zulässigen Begriff einführen zu können
glaubte. Mit Geheimnissen über Geheimnissen war der alte Dogma¬
tismus durchsetzt, und die Einbeziehung der Arbeit des Verstandes
in ihn war nur eine äußerliche und scheinbare. Seit Galilei vollzieht
sich nun die ungeheure Rationalisierung der Naturerkenntnis und
damit eine ungeheure Ernüchterung. Sachlich und unter methodi¬
scher Abstreifung aller begrifflichen Nebel maß man von jetzt an
die Bewegungen. Das Werkzeug der Messung wurde das analytische
Verfahren der Geometrie. Wenn wir z. B. von „Anziehungskraft“
sprechen, dann meinen wir nicht eine unfaßbare Kraft, sondern
einen Hilfsbegriff für die Formel eines Gesetzes. Begriffe wie
Kraft, Atom, Molekül usw. sind für die exakte Naturforschung
rationale Systeme von durchaus ungeheimnisvollen Hilfskonstruk¬
tionen, mittels deren wir die Bedingungen für das Gegebene zu einem
für die Vorstellung klaren und für das Leben benutzbaren Zusammen¬
hang entwickeln. Diese Verdrängung der mystisch-theologisch-meta¬
physischen Betrachtung durch die nüchterne Rationalität der
mechanistischen Naturerkenntnis bekundet sich nun in sämtlichen