Full text: Grundlegung der Dialektik

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I. Typische Einwände gegen die Metaphysik 
hänge, wie solche zwischen den Erscheinungen obwalten, zu rücken. 
Mit der Entwicklung des modernen Menschen zur Freiheit begibt 
sich zugleich der einzigartige Vorgang der Verselbständigung der 
wissenschaftlichen Vernunft und der wissenschaftlichen Erfahrung. 
Zwei typische Erzeugnisse sind die Belege für diesen Wandel 
des Wissenschaftsgeistes. Zunächst ist hier der unermeßlich frucht¬ 
baren Gewinnung des Prinzips der Kausalbetrachtung 
der Wirklichkeit zu gedenken. Sowohl auf dem Gebiete der 
Natur wie auf dem der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt voll¬ 
ziehen sich der Durchbruch und die Anwendung dieser Betrachtungs¬ 
weise, die die Voraussetzung für den unvergleichlichen Siegeszug 
der modernen Erkenntnis darstellt. Die alten, auf das Jenseits be¬ 
züglichen, rein formalen und somit unergiebigen Spekulationen ent¬ 
sprachen dem weitabgewendeten Wesen des mönchischen Wissen¬ 
schaftlers und des klösterlichen Philosophen. In der Neuzeit hingegen 
greift eine entschiedene Begabung zu einer realistischen und posi¬ 
tivistischen Erkenntnis der irdischen Erscheinungen Platz. Nicht 
was „hinter“ ihnen, sondern was „zwischen“ ihnen webt und wirkt, 
und worauf sie ihrem tatsächlichen Bestände und Befunde nach ge¬ 
gründet sind, bildet nunmehr den Gegenstand der Forschung. An 
die Stelle des doch erfolglosen Bemühens um die Zurückführung 
der Erscheinungen auf das Mysterium der einen, ewigen Substanz 
tritt jetzt der Gedanke der Relation, der gesetzlichen, in Zahlen 
ausdrückbaren Beziehung. So entsteht in einer entzauberten Welt 
ein klares, rationalistisch gefügtes Weltbild. Beide, die neue Welt 
und die neue Erkenntnis, stehen in begreiflicher Wechselwirkung; 
das Moment ihrer Verbindung ist der streng sachliche Rationalismus 
und Positivismus einer aufklärerischen Geisteshaltung. 
Und wie das Wesen der uns tatsächlich gegebenen Wirklichkeit, so 
wird auch das Wesen der für uns tatsächlich verfügbaren Erkenntnis 
klarer und klarer durchschaut und bestimmt. Die seit der Renaissance 
entstehende Theorie der Erkenntnis ist ebenfalls ein Markstein und 
Merkstein in dieser positivistischen und rationalistischen Entwick¬ 
lung. Die psychologische Untersuchungsweise, die in alle Wesens¬ 
schichten und Wirkungsformen des Menschen einzudringen sich be¬ 
müht, macht natürlich auch vor der Untersuchung eines so wich¬ 
tigen Teiles seiner Natur, wie es die menschliche Erkenntnis ist, 
nicht Halt. Die neue Erkenntnistheorie bildet sich im Zusammen¬ 
hänge mit der neuen Psychologie und Anthropologie aus und stellt 
ein Kapitel derselben dar. Erst später, nämlich erst durch Kant,
	        
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