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I. Typische Einwände gegen die Metaphysik
Überwindung der Metaphysik durch die positiven Wissenschaften
in recht erheblichem Umfange von Auguste Comte beeinflußt worden
ist. Er hat diesen Einfluß auch zugestanden und die betreffenden
Darlegungen, die jene Zurückdrängung der Metaphysik schildern,
unmittelbar an seine Darstellung des Standpunktes von Comte
angeschlossen.
Wir wollen auf die Ansicht Diltheys darum hier etwas genauer
eingehen, weil sie, abgesehen von der klassischen Feinheit und gro߬
artigen historischen Umsicht, mit denen sie von ihm vertreten wird,
in ungewöhnlicher Weise aufschlußreich ist für die ganze Stimmung,
die in den drei letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts
gegenüber der Metaphysik herrschte. Dilthey, einer der größten
Kulturhistoriker aller Zeiten, ist selber eine, für eine kulturgeschicht¬
liche Betrachtung ungewöhnlich ergiebige Persönlichkeit. Denn die
Hauptzüge und Hauptinteressen der Geisteshaltung seiner Genera¬
tion spiegeln sich in seiner Gemütsverfassung bis in deren einzelne
Strukturen hinein deutlich wieder. Man darf in ihm einen ganz
wesentlichen und höchst eindrucksvollen Repräsentanten eines be¬
stimmten Wissenschaftsethos erblicken. In seltsamer Weise waren
in ihm relativistische Überzeugungen und positivistische Tendenzen
gemischt mit einer fast unbedingten Achtung vor dem unwider¬
stehlichen Fortschritt der wissenschaftlichen und intellektuellen Ent¬
wicklung und einem nahezu religiösen Glauben an die Macht der
Geschichte. Dieser große Kritiker der Geschichte, der das tragisch¬
komische Wechselspiel ihrer Bewegungen und die wilde Üppigkeit
ihrer Kraftausbrüche mit überlegener Einsicht und Reife durch¬
schaute, trug bei allem weltanschaulichen Skeptizismus dennoch für
dieses Geschehen eine fast religiöse Verehrung in seiner Brust. Er
huldigte nicht dem Vorwurf, daß die Historie von Nachteil für das
Leben sei, und er hat deshalb Nietzsche lebhaft widersprochen. Er
schrieb dem geschichtlichen Leben die Kraft zu, sich aus jeder Krisis
und aus jeder Verschlingung durch die Erzeugung neuer objektiver
Leistungen zu befreien. Und daß die zunehmende Rationalisierung
das Abendland in eine seelische und moralische, in eine weltanschau¬
liche und religiöse Katastrophe oder gar in den sicheren Untergang
hineintreiben könnte und würde, war ihm ein völlig fernliegender
Gedanke. Zweifellos hätte Dilthey auch diesen Gedanken, wenn er
ihm überhaupt nachgegangen wäre, als eine vollständige Absurdität
verworfen. Denn jede derartige Prophezeiung würde durch die
großartige, auf der unerschütterlichen Gewalt der Wissenschaf¬