2. Kants Kritik der Metaphysik
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des Neukantianismus endlich bis zu dem gegenteiligen Nachweis,
daß Kant durch seine Erkenntniskritik gerade umgekehrt eine ge¬
waltige Arbeit im Interesse der Metaphysik und des Verständnisses
für sie geleistet habe. Die Erarbeitung eines solchen Verständnisses
sei ihm jedoch nur gelungen, weil er, weit über die Geltungs¬
sphäre einer negativ-kritischen Einstellung hinaus, von dem Geist
der Metaphysik erfüllt war und in ihm lebte.
Es bedeutet keinen Versuch einer Minderung des Gesamtwertes
der kantischen Tat, wenn wir uns zum Anwalt der Behauptung
machen, daß Kant durch seine Erkenntnistheorie die Metaphysik
nicht beseitigt, sondern ihr mehr genützt als geschadet habe. Denn
befreit hat er sie von einem unberechtigten Geltungsanspruch; ge¬
nommen hat er ihr ein falsches Ansehen, herausgelöst hat er sie aus
den Klammern einer Verbindung, in der sie weder gedeihen noch
sterben konnte. Verging sie sich nämlich nicht gegen ihren Sinn und
gegen ihre Absicht, untergrub sie sich nicht selber die Größe ihrer
Existenz und die innerliche Bedeutung ihres Wesens, wenn sie auf
Grund ihres allzu willfährigen Anschlusses an die Mathematik und
an die mathematischen Naturwissenschaften sich den Wert einer
streng rationalistischen und begrifflich beweisbaren Weltkonstruktion
aneignete? Indem sie die Welt rationalisierte, vollzog sie dadurch
nicht auch mit sich selbst eine Rationalisierung, die ihr Wesen ver¬
fälschte und verflachte ? Sie begab sich in die Fron einer spezifischen
Wissenschaftlichkeit, deren Wert und Forderungen sie nicht ent¬
sprechen durfte. Und verblieb sie in dieser schiefen Haltung, als
könnte sie in der Form einer mathematischen Beweisführung das
Grundprinzip aller Erscheinungen aufdecken und darstellen, so
zwang sie aus eigenem Antriebe den Vergleich zwischen sich und der
mathematischen Naturwissenschaft heraus. Konnte dieser Vergleich
anders als zu ihren Ungunsten ausfallen? Sprach Kant in seiner
Erkenntniskritik nicht mit unwiderstehlicher Logik klipp und klar
aus, was sich jedem offenen Blick ohne weiteres als die Folge einer
unglücklichen Gemeinschaft erschließen mußte?
Von dieser Seite aus gesehen, kann die Leistung Kants als die
vorweggenommene theoretische Formulierung eines Ergebnisses be¬
trachtet werden, zu dem die fortschreitende Entwicklung des Ver¬
ständnisses für das Wesen der Wissenschaften sozusagen von selber
führen mußte. Mir scheint, daß der kantische Kritizismus seine
Bedeutung weniger in der Kraft zur Schlichtung des alten Gegen¬
satzes von Rationalismus und Sensualismus zeigt als in der gro߬