1. Prinzipieller Wert dieser Einwände
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reich, weil sich in ihnen selber eine typische Geisteshaltung und eine
typische Kulturlage ausdrücken. Wer in das Wesen der Metaphysik,
in die Autonomie und Dialektik ihres Begriffs eindringen will, der
muß die Gegner berücksichtigen und verstehen. Damit sind wir
zum zweiten Grund für die Beachtung der Beanstandungen, die
die Metaphysik erfahren hat, gelangt. Indem wir uns jene Einwände
vergegenwärtigen und ihr Verhältnis zu dem kritisierten Gegen¬
stände bedenken, stoßen wir auf den Punkt, in dem sie die Meta¬
physik mißverstanden haben, so daß ihre Kritik im Grunde gegen¬
standlos blieb und bleiben mußte. Wie aber können wir den Punkt
des Mißverständnisses anders erhellen als dadurch, daß wir die
Eigentümlichkeit der Metaphysik feststellen? Darum fördert uns
die Erörterung jener Einwände ganz folgerichtig in unseren Be¬
mühungen, die auf die Klarlegung und Sicherung der Metaphysik
abzielen, die das Recht ihres Begriffs verteidigen und neben der
Autonomie ihres Wesens auch ihre moralische und religiöse Unent¬
behrlichkeit darstellen wollen.
Denn eine solche Unentbehrlichkeit wohnt ihr tatsächlich im
höchsten Grade inne, wenn anders ihre Stellung im Geistesleben
und ihre stets erneute Wiederherstellung begreiflich und begründet
sind. Jede Kulturlage ist von der Ausbildung eines bestimmten
metaphysischen Systems begleitet; jede Kulturlage und Kultur¬
form findet in einem solchen System ihr begriffliches Spiegelbild.
Deshalb können es keineswegs ausschließlich intellektuelle Beweg¬
gründe sein, die die Bildung eines metaphysischen Systems be¬
dingen. Und es können deshalb nicht ausschließlich intellektuelle
und theoretisch-formale Einstellungen sein, von denen aus ein
metaphysisches System zu verstehen und adäquat zu kritisieren
ist. Die Frage, ob und in welchem Sinne die Metaphysik dem engeren
Kreise der eigentlichen und positiven Wissenschaften angehört, ist
schon von Anfang an abwegig. Es besagt, wie kein anderer als
Kant in überzeugender Weise dargetan hat, nichts gegen ihren
objektiven Geltungswert, daß ihr jene eigentümliche Wissenschaft¬
lichkeit nicht zugesprochen werden kann, die von den Gebieten der
positiven Erkenntnis vertreten und verkörpert wird. Eine imma¬
nente Kritik der Metaphysik treiben, heißt, die Meta¬
physik immanent aufbauen. Das Verständnis, das ihr ent¬
gegengebracht wird, bildet schon an und für sich ein Element für
ihre positive Entwicklung. Ihre Grenzen ergeben sich nicht von
außen her, sondern aus den Quellen ihrer Kraft; sie sind soweit vor¬