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Einleitung
begründet, daß es schon die kantische Fragestellung als solche ist,
die wie keine andere die Philosophie in die Lage versetzt, ihre
erkenntnistheoretische Arbeit auch gegenüber der geschichtlichen
Erkenntnis in Angriff zu nehmen. Mit unbeirrbarer methodischer
Sicherheit richtet diese Fragestellung sich auf die Kennzeichnung
und auf die Prüfung der objektiven Bedingungen, die jene Wissen¬
schaften als Wissenschaften ermöglichen. Die transzendentaleMethode
lehrt uns, nicht die Geschichte der Geisteswissenschaften, ebensowenig
die subjektiven Erlebnishintergründe, aus denen diese stammen,
in den Blickpunkt der Überlegung zu rücken, sie lehrt uns, weder
soziologisch noch psychologisch oder sonstwie historisch, sondern
eben erkenntnistheoretisch vorzugehen und nach dem „Wesen“ der
Wissenschaft, nach ihrem „Begriff4, nach ihrem „Geltungswert“,
den sie als Wissenschaft hat, zu fragen. Denn nicht die Geschichte
der Wissenschaften, nicht ihre Ausbildung innerhalb der allgemeinen
oder persönlichen Entwicklungsformen des gesellschaftlichen Da¬
seins steht zur Untersuchung, vielmehr ist es im strengsten Sinne
ihr Begriff, ihr objektiver, sich in ihrer theoretischen Leistung aus¬
drückender Sinn, dem die erkenntnistheoretische Kritik gilt.
Diese Richtung der Forschung spricht sich mit unüberbietbarer
Klarheit in der kritischen Fragestellung aus: Wie sind die histori¬
schen Wissenschaften als Wissenschaften überhaupt möglich? Auf
welchen begrifflich-sachlichen Bedingungen beruhen ihre Eigenart
und ihre Geltung? Welches sind ihre Prinzipien und ihre Grenzen?
Aber diese Frage nach ihrem Woher und Wieweit sind in logischem
und nicht in psychologischem oder historischem Sinne aufzufassen.
Um eine Geschichte oder eine Psychologie der Geisteswissenschaften
überhaupt unternehmen zu können, ganz gleich, in welcher Absicht
und in welcher Ausführung derartige Forschungen erfolgen, so muß
vorher doch der Begriff dieser Wissenschaft seinem Prinzip nach
aufgehellt, er muß definiert und in seiner objektiven Bedeutung
klargestellt sein. Jene Forschungen müssen ihn als apriorischen
Gesichtspunkt, als Wegweiser, als Leitidee anerkennen und sich
auf ihn als ihre Voraussetzung berufen, wenn anders sie überhaupt
wissen, was sie wollen, und wenn anders sie die Richtung und die
Sicherheit ihres Weges nicht verlieren wollen. Wir werden jedoch
sehen, daß auch über den heuristischen Wert jener Fragestellung
hinaus und nicht zuletzt gerade auf Grund ihrer in methodischer
Beziehung vorbildlichen Genauigkeit die kantische Erkenntnis¬
theorie prinzipiell der Aufgabe der kritischen Begründung der