2. Die dialektische Geschichtsphilosophie
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worfen, eine Frage, deren Behandlung unter den verschiedensten
Gesichtspunkten zu den Aufgaben unserer späteren Darlegungen
gehört. In der „Geschichtsphilosophie“ werden wir, gewollt oder
ungewollt, mittelbar oder unmittelbar, diesen Einfluß berühren.
Doch wollen wir schon hier das programmatische Bekenntnis ab-
legen, daß eine Geschichtsphilosophie eine leere Kombination von
Gedankenspielereien bleibt, wenn die ununterbrochene Bezugnahme
auf die historischen Wissenschaften, auf ihre Form und auf ihren
Gehalt, auf ihren Begriff und auf ihre Ergebnisse mangelt. Zwischen
den Zeilen der positiven Geschichtsforschung ist oft eine sehr deut¬
liche Geschichtsphilosophie zu lesen, deren Herausarbeitung in der
Form begrifflicher Klärung eine nicht nebensächliche Aufgabe der
fachlichen Geschichtsphilosophie darstellt.
Mit diesem Hinweise stoßen wir bereits auf eine Beziehung von
sozusagen umgekehrter Art zwischen den Geisteswissenschaften und
der Geschichtsphilosophie. Wir deuteten oben an, daß die Philo¬
sophie der Geschichte den historischen Wissenschaften zu Dank
verpflichtet wäre, weil sie ihr für ihre Begründung und Entfaltung
mannigfache und unentbehrliche Hilfe in formal-methodischer und
in inhaltlich-gegenständlicher Beziehung leiste. Nun aber sahen wir
soeben, daß auch die historischen Wissenschaften aus der Geschichts¬
philosophie einen ihnen wesentlichen Nutzen ziehen können und tat¬
sächlich auch ziehen. Denn die Philosophie der Geschichte klärt in
bewußter und beabsichtigter begrifflicher Gestaltung jene Wissen¬
schaften über den weltanschaulichen Sinn auf, den sie, nicht selten
ohne es zu wollen und zu wissen, ausdrücken und dem sie dienen. Gewiß
befindet sich auch in dieser Richtung die Geschichtsphilosophie in
einer gewissen Abhängigkeit von den Geisteswissenschaften, die für
sie ebenso unvermeidlich wie fruchtbar ist. Denn wie könnte eine
Geschichtsphilosophie ein Weltbild von objektiver Zuverlässigkeit
und sachlicher Berechtigung entwickeln ohne die Inanspruchnahme
der positiven Wissenschaften des geschichtlichen Lebens?
In der Welt beruhen jedoch alle Dankverhältnisse auf einer
Wechselseitigkeit. Das gilt auch für die Beziehung zwischen der
Geschichtsphilosophie und den positiven historischen Wissen¬
schaften. Die Richtigkeit dieser Behauptung bekundet sich nach
einer anderen Seite, die wir mit ausdrücklicher Betonung jetzt
unterstreichen müssen, weil sie für die konkreten Geisteswissen¬
schaften von nicht geringerer Bedeutung als für die Geschichts¬
philosophie ist. Die historischen Wissenschaften sind für die Ge-