2. Die dialektische Geschichtsphilosophie
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kenntnis, die eine mehr naturwissenschaftlich gegründete und im
naturwissenschaftlichen Verstände aufgebaute Philosophie den
Naturwissenschaften zu entnehmen vermag. Die so oft aufge¬
stellte, in ihrem Recht jedoch so oft bestrittene Unterscheidung
von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft bzw. Kulturwissen¬
schaft tritt uns auch in der Auseinanderhaltung von zwei Typen
philosophischer Systematik entgegen, in der Gegenüberstellung des
naturwissenschaftlichen und des geisteswissenschaftlichen Typus des
philosophischen Denkens. Während aber für den erstgenannten
Typus die Art seiner Abhängigkeit von der Methodik und dem
ganzen Gefüge der Naturwissenschaften bereits in eingehenden
Untersuchungen aufgedeckt ist, z. B. bei Descartes, bei Hobbes,
bei Leibniz, auch bei Kant, fehlen uns entsprechende Forschungen
für den zweiten Typus. Ohne Zweifel würden sie den entscheidenden
Anteil beleuchten, den die modernen Geisteswissenschaften auf die
Ausbildung einer bedeutenden Form philosophischer Weltinter¬
pretation ausgeübt haben. —
Die Entstehung der modernen Philosophie im Zeitalter der aus¬
gehenden Renaissance wird mit gutem Grund mit der Entstehung
der modernen mathematischen und exakten Naturwissenschaften
in Zusammenhang gebracht. Der neue naturwissenschaftliche Typus
des Denkens unterschied sich eben dadurch von der mittelalterlichen
Art des Philosophierens, daß dieser Philosophie eine „Geisteswissen¬
schaft“ in der Gestalt der Theologie zugrunde lag. Wenn sowohl
Francis Bacon als auch Descartes die Scholastik anklagten und
geringschätzten, weil sie in leeren Begriffsstreitigkeiten und in einem
gehaltlosen Formalismus steckengeblieben sei, und wenn sie im
Gegensatz dazu eine Form der Erkenntnis forderten und als Me¬
thode darzustellen suchten, die den Menschen in den Stand setze,
die Wirklichkeit der Natur zu erfassen und ihrer in theoretischer
und in praktischer Hinsicht tatsächlich Herr zu werden, so prägt
sich in derTiefe der Ablehnung der Scholastik der Kampf gegen eine
Geisteswissenschaft aus. Der oft hörbare und nicht immer be¬
gründete Tadel von seiten einzelner Vertreter der Naturwissen¬
schaften über eine gewisse Anmaßlichkeit der spekulativen Philo¬
sophie, die nur sich als wahre und eigentliche Wissenschaft gelten
lassen wolle und auf die konkreten Wissenschaften, zumal auf die
Naturwissenschaften, mit einer verletzenden Überheblichkeit herab¬
blicke, kann auch im Namen der Geisteswissenschaften in be¬
stimmten Fällen gegen die Naturwissenschaften ausgesprochen wer¬