2. Die dialektische Geschichtsphilosophie
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Natur als die erste objektive Stufe in der realen Selbstbestimmung
der Dialektik anzusehen ist, und weshalb die Metaphysik der Natur
nicht der Metaphysik der Geschichte in einem System der Dialektik
vorangehen kann. Die ,,Natur“ stellt eine viel spätere und dem
Kern schon fernerliegende Objektivationsart des Geistes dar als das
geschichtlich-gesellschaftliche Leben. Der theoretische Niederschlag
derjenigen Bemühungen, die auf die Erfassung der Dialektik des
Geistes innerhalb seiner geschichtlichen Auswirkung abzielen, sind
die Geisteswissenschaften. In ihnen und durch sie spricht sich
logisch und erkenntnismäßig die Dialektik in der ihrem Wesen
nächstliegenden Form aus. Aus diesem Grunde läßt sich diese
Dialektik auch an der Struktur der Geisteswissenschaften unmittel¬
barer ins Auge fassen und studieren, als das bei den Naturwissen¬
schaften der Fall ist.
Diese Bemerkungen sollen in keiner Weise eine Bewertung dieser
beiden Wissenschaftsgruppen und in keiner Weise die Höher¬
schätzung der einen Gruppe gegenüber der anderen aussprechen.
Es kann für die Naturwissenschaften sogar ein Moment des Vor¬
zuges damit gegeben sein, daß ihre Erkenntnisform in eine größere
Entfernung zur Dialektik getreten ist, worüber wir jetzt noch nichts
ausmachen wollen. Wichtig werden unsere Bemerkungen erst dann
werden, wenn wir der Frage der systematischen Gliederung der
Wissenschaften uns nähern. Das Prinzip für eine solche Gliederung,
und ohne ein solches Prinzip ist eine Gliederung nicht möglich, ist
die Idee der Entfaltung der Dialektik. Und die Stelle, die im
System der Wissenschaften eine bestimmte Wissenschaft einnimmt,
ist durch die Stufe charakterisiert, durch die eine Wissenschaft
eine bestimmte Stelle in der Dialektik verkörpert.
In dem vorliegenden Zusammenhang erscheint es zweckmäßig,
mit einigen grundsätzlich gemeinten Strichen anzudeuten, weshalb
auf den ersten Band, der die ,,Grundlegung der Dialektik“ ent¬
hält, derjenige Band folgen wird, der ein Bild der dialektischen
Geschichtsphilosophie zu entwerfen sucht. —
Die ungeheure Entwicklung der historischen Wissenschaften im
neunzehnten Jahrhundert hat immer mehr den Blick dafür ge¬
öffnet und uns in dem Verständnis gefördert, daß der Mensch nicht
bloß ein Lebewesen im Sinne der Naturwissenschaften, besonders
der Biologie ist. Vielmehr hat sie uns darüber aufgeklärt, daß der
Boden und die geistige Luft der geschichtlichen Welt seine eigent-
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